Der Cretin auf Kreta, oder Startschwierigkeiten nach der Landung

Wenn man seinen Hinflug zum Urlaub zu großen Teilen liegend verbringt, weil man ohnmächtig wurde und den halben Flieger in eine gewisse Panik versetzt hat, dann ist man zwar einigermaßen komfortabel gereist, zumindest im Vergleich zu all denen, die sardinenbüchsenartig in ihren Sitzen gezwängt saßen, aber es bleibt auch an einem selbst ein bisschen etwas haften und nein damit meine ich keine Speisereste. Es ist eine innere Unruhe, weil man zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ob die Ohnmacht mal ein Ausreißer war, oder ob dergleichen in den nächsten Tagen noch einmal, oder noch öfter droht. Und dann stellt sich mir schon die Frage, wie gut das Griechisch meines Hasen ist, um bei eventuellem Bedarf meine Krankheitsgeschichte in knappen kyrillischen Worten wiederzugeben. Ich selbst, kenne nur die Ausdrücke für guten Morgen, guten Abend und Prost. Letzterer würde eventuell helfen, falls ich mal sediert werden müsste.

Aber wie dem auch sei, vom Gefühl her bin ich beim Verlassen des Fliegers schon wieder recht gut drauf, weshalb ich darauf verzichte, den Boden des Flughafens zu küssen, wie es einst mein Pabst Johannes Paul II getan hat und zwar nach jedem Flug. Insgesamt bin ich aber trotzdem etwas neben mir. Ein Gemisch aus Müdigkeit, Hunger, dem Kampf meiner neuen Medikamente in Sachen Blutdruck und einem aufkeimenden Hunger macht mir ein bisschen zu schaffen und so bin ich ein bisschen neben mir, als wir das Gepäck holen, in den Bus steigen und dann in Richtung Hotel transferiert werden. Es ist mir alles ein bisschen egal, ich kann es nicht anders sagen. Ich habe kein Auge für die Umgebung, die während der Fahrt unbeeindruckend an mit vorüber rauscht und auch das Wetter ist mir ziemlich egal.

Es ist übrigens recht bewölkt und es scheint so, als wenn der Hase Recht behalten würde. Schon Wochen vorher hatte sie in diversen Ecken des Internets gelesen, dass der Zeitraum, in dem wir verreisen, in der Gegend, die wir bereisen, immer für schlechtes Wetter gut ist. Sowas macht der Hase oft. Wenn etwas anliegt, gekauft oder gebucht ist, dann stöbert sie im Netz und hat ein Auge auf die schlechten Meinungen und Bewertungen dazu. Und da sie ja ein großer Pessimist ist, schlägt das auf ihre Stimmung und sie schraubt die Erwartungen an unseren Urlaub ein bisschen nach unten.

„Wir werden also nicht baden können“, sagte sie ungefähr zwei Dutzend Mal und immer hatte ich den unverbesserlichen Optimisten raushängen lassen und Dinge gesagt wie: „Man wird sehen.“ oder „Mal abwarten.“ oder „Man wird mal beim Abwarten sehen.“ oder „Lass uns erstmal da sein, dann sehen wir weiter, ob wir mal abwarten müssen.“ „Was wollen wir abwarten?“, fragte der Hase. „Woher soll ich das wissen“, sagte ich wahrheitsgemäß. Und nun ist der Himmel wirklich bedeckt und mit 23°C ist es auch für eine griechische Insel nicht wirklich warm. „Wir werden nicht baden können“, sage ich ebenso missmutig wie gleichgültig. „Mal abwarten“, sagt der Hase. Sie ist ja so ein Optimist.

Das Hotel, das wir gebucht haben, ist auf den ersten Blick schon sehr schön, der direkte Weg dorthin nicht ganz so. Es ist eine Art Straße, die parallel zur Schnellstraße verläuft, auf der wir gerade hergefahren sind und der Belag dieses Nebenwegs ist eine Art Asphalt, der wahrscheinlich schon vor dem 1. Weltkrieg aufgebracht wurde und mit mir gemein hat, dass er einfach nicht mehr so richtig gut aussieht: überall Risse und Schlaglöcher. Die Seitenräume sind unbefestigt und es parken viele Autos dort, wahrscheinlich von den ganzen Hotelangestellten. Unser Hotel ist das fünfte in einer Reihe von ausnehmend oberschicken Hotels, die hier wie die Perlen auf der Schnur in Strandnähe angesiedelt sind. Danach kommt noch so ein Nobelschuppen und dann ist erstmal nichts bis zum nächsten Ort. Auch ansonsten ist in direkter Nähe zu den Hotels ein bisschen der Hund begraben, aber das ist mir, momentan, auch egal.

Die Hotelhalle ist zwar nicht riesig, aber dennoch beeindruckend und schon recht edel eingerichtet. Überall stehen gemütliche Sessel und Sofas in einer altrosa Färbung herum und wir dürfen auf einer dieser Sitzgruppen erst einmal Platz nehmen. Man serviert uns ein Kaltgetränk, das farblich zu der Sitzgruppe passt und auch altrosa schmeckt. Ist doch recht lecker und angenehm kühl, das Getränk. Wie diese Eigenschaften sich beim Sofa verhalten, weiß ich nicht. Der Hase und Oppa regeln ein bisschen die Formalitäten und die Menschen an der Rezeption sprechen durchweg ziemlich gut deutsch. Was für einen Cretin wie mich immer erleichternd ist. Typisch deutsch, wie ich bin, habe ich mich bisher immer verweigert mich mit den jeweiligen Landessprachen vertraut zu machen, egal wohin wir mal geflogen sind. Das mag auf eine gewisse Art unhöflich sein, aber es ist besser für mediterrane Sprachen, wenn ich sie nicht nachhaltig verstöre.

Eine junge Frau, die hier die Touristenbetreuung macht, spricht sogar dermaßen gut Deutsch, dass da so manch ein Sachse nicht mithalten kann. Und was mir ab dem ersten Moment auffällt, ist die absolute Freundlichkeit aller Angestellten, denen wir hier begegnet sind. Ja klar, das ist eigentlich schon Standard in so einem Hotel, aber hier ist das noch einmal eine Nummer freundlicher und höflicher. Das ist dermaßen freundlich und höflich, dass man schon beinahe misstrauisch werden könnte. Sind die wirklich alle so? Hat man die nach ihrer natürlichen Freundlichkeit als Einstellungskriterium ausgesucht? Kriegen die mehr Geld als woanders? Sind das allesamt gute Schauspieler? Nehmen die Drogen und wenn ja, welche (ich hätte gerne davon)? Und es stellt sich natürlich die wichtigste Frage: Warum darüber nachdenken? Es ist schließlich Urlaub und wenn die jetzt beschlossen haben, dass sie alles so nett und höflich sein wollen, na dann meinetwegen. Ich beschließe es zu genießen, dass man so zu mir ist und dass ich auch freundlich und höflich sein möchte. Und tief in meinem Inneren ist mir das nicht egal und ich bekomme einen ersten Zipfel Urlaubsfeeling.

Unsere Zimmer sind beinahe fertig. Naja, also eigentlich unsere Zimmer. Das vom Hasen und mir ist nur für die erste Nacht. „Wir haben dafür ein Upgrade gemacht“, sagt die supernette Touristenbetreuerin und wir bekommen für diese erste Übernachtung ein Zimmer mit einem eigenen Pool an der Terrasse. Naja, beinahe einem eigenen Pool. Es ist vielmehr ein Pool für vier Zimmer der gleichen Kategorie und alle haben einen eigenen Zugang dazu, aber man kann theoretisch an allen Zimmern vorbeischwimmen. Also kann man nicht einfach in der Nase popeln, wenn man auf der Terrasse liegt. Es könnte ja jemand aus der Nachbarschaft vorbeischwimmen und Anstoß daran nehmen. Da ich aber nicht die Absicht hatte auf irgendeiner Terrasse zu popeln ist es mir eigentlich egal und in den Pool möchte ich auch nicht. Schließlich ist es bewölkt und verhalten warm.

Dass wir dieses Zimmer nur für eine Nacht haben, kommt daher, dass der Hase von dem Service Gebrauch gemacht hatte, sich im Vorfeld per Mail an das Hotel zu wenden, wenn man Wünsche an das Zimmer hat, das man in seinem Urlaub beziehen möchte. Und so schickte der Hase eine freundliche Mail mit ein paar wenigen Dutzend Wünschen für unser und das Omma- und Oppa Zimmer. So Dinge wie: möglichst flacher Einstieg zur Dusche (wichtig wie ich finde), einen Blick Richtung Meer (weniger wichtig), eine Lage mindestens im 1.OG (wichtig, falls ich mal auf dem Balkon popeln möchte, da schwimmt dan wenigstens niemand vorbei) oder dass die Zimmer möglichst nahe beieinander liegen mögen (nur wenn möglich) hatte sie als Wunsch geäußert und um dem zu entsprechen hatte man sich darum bemüht, das passende Zimmer für uns zu finden. Omma und Oppa haben es von Anfang an und wir erst am zweiten Tag.

Unser Zimmer ist bezugsfertig, das von Omma und Oppa nicht. Wir beschließen das Gepäck meiner Schwiegereltern bei uns für den Moment unterzubringen und dann zu speisen. Es gibt noch ein bisschen Gerangel um das Gepäck, das ein Hotelangestellter zu unserem Zimmer bringen möchte und Oppa, mobil und fit wie er nunmal ist, es eigentlich lieber selber dorthin bugsieren möchte. Mir ist es egal und der Angestellte gewinnt und darf es bringen. Eine nette (wie alle hier, aber das erwähnte ich ja schon) Frau von der Rezeption begleitet uns und erklärt uns wortreich in driechisch oder greutsch was sich in diesem Hotel wo befindet. Wir sind erschlagen von den vielen Informationen und Eindrücken, drücken dem Gepäckbringer ein Trinkgeld in die Hand und gehen zum Essen.

Die meisten Hotels in denen wir bisher urlaubten, waren recht groß (bis zu 1500 Betten) und so mutet diese Anlage mit ihren 420 Betten doch schon beinahe familiär an. Die Zimmer sind in zwei Flügeln untergebracht, die sich auf drei Etagen verteilen. Erdgeschoss, 1.OG und 2.OG sind die eigentlich korrekten Bezeichnungen (zumindest in Deutschland) für diese Etagen. Der Grieche an und für sich, scheint es nicht so genau zu nehmen und so steht im Fahrstuhl eine 1 für das Erdgeschoss, eine 2 für das 1.OG und eine 3 für das 2.OG. Was gerade am Anfang zu ein paar Koordinations- und Ortsbestimungsschwierigkeiten führt. Es dauert ein bisschen, bis wir verstanden haben, dass das Zimmer von Omma und Oppa nicht im zweiten, sondern im ersten Stock ist.

Der Speisesaal ist vergleichsweise doch recht groß und es gibt auch ein nettes Mittagsbuffet (ja, sogar die Speisen sind nett hier). Aber man ist ja so, wenn man schon mehrere solcher Urlaube gemacht hat, dass man auch vergleicht und schnell schält sich heraus, dass das Angebot in seiner Fülle etwas weniger ist, als in anderen Hotels, die wir bewohnt hatten. Oder täuscht das auch nur? Bin mir unsicher und finde doch gefühlt tausend Sachen, die ich essen möchte und die meisten davon sind wirklich gesund. Bin gespannt, ob mein Körper das einfach so mitmacht.

Wir befüllen die Teller, setzen uns im Außenbereich an einen Tisch, die Sonne kommt ein bisschen zum Vorschein und eine außerordentlich nette Bedienung fragt uns nach unseren Getränkewünschen. Die sind im Einzelnen eine Apfelschorle für Omma (ja, das kann man hier so unter diesem Namen bestellen), ein sparkling Water für den Hasen (original in Hasisch auch „Blubb Blubb Water“ betitelt) und ein kleines Fläschchen Wein für Oppa. Die Bedienung, die den Lebemann in Oppa erkennt und gut findet, quittiert seine Bestellung mit einem leicht erotisch angehauchten „I love this Guy!“. Ich selbst würde gern dem schwiegerväterlichen Beispiel folgen und auch Wein, oder zumindest ein Bier bestellen, aber die Umstände sind nicht so, als dass ich das nun machen sollte oder wollte. Eine Ohnmacht und die Tablettenlage sprechen dagegen. Also bestelle ich auch ein Wasser und weil ich immer noch ein bisschen Rebell bin, darf es ach sparkeling sein. Man muss es auch mal krachen lassen.

Man bringt die Getränke, das Essen ist hervorragend lecker, die Sonne lacht und die Leute sind nett und das Gefühl von Urlaub breitet sich weiter aus in mir. Alle lächeln hier und in einem unbedachten Moment beginne ich auch ein bisschen zu lächeln. Dazu müssen meine Mundwinkel nach oben. Das sind sie in letzter Zeit nicht gewohnt gewesen und so kostet es mich ein gewisses Maß an Mühe, sie in die richtige Position zu bringen. Sieht wohl nicht ganz so locker aus, wie es müsste. „Geht´s dir nicht gut?“, fragt der Hase besorgt. „Doch, ich lächle“, sage ich. „Ich dachte, du hast Schmerzen“, sagt der Hase.

Nachdem wir fertig gespeist haben, gehen wir zu unserem Zimmer und Omma und Oppa schnappen sich ihr Gepäck, denn sie können nun ihre Räumlichkeiten beziehen. Oppa konnte sich zumindest hier durchsetzen und das Gepäck selber zum Zimmer bringen. Es ist ihm wichtig solche Dinge noch selbst zu tun und warum sollte man ihn auch davon abbringen. Für den Moment sind wir erst einmal ziemlich platt und der Hase kann noch keine Koffer auspacken, weil wir ja noch einmal umziehen müssen. Wir beschließen, nach der doch etwas fordernden Hinreise eine Pause einzulegen. Und ich komme meinen Pflichten nach, die mir mein Hausarzt mit auf den Weg gegeben hat und mit dem vertrauten Brummen des Blutdruckmessgerätes falle ich in einen leichten und unruhigen Schlaf.