Bin ich der Einzige, der sich regelmäßig an den Kopf fasst, wenn es wieder an der Zeit ist, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Tarifverhandlungen gehen? Wobei mir gerade auffällt, dass das Wort Arbeitgeber viel sozialer und selbstloser klingt als Arbeitnehmer. Da ist jemand, der Arbeit hat und weil er sie gerne mit jemandem teilen möchte, gibt er sie an Andere weiter. Und wer sind diese Anderen? Schmarotzer sind es, die keine eigene Arbeit besitzen und sie einfach nehmen. Nehmen von dem Geber, der in seiner Großzügigkeit nicht für sich allein behält. Und was soll ich sagen, er gibt den Leuten auch noch Geld dafür, dass sie ihm etwas wegnehmen. Ein barmherziger Samariter könnte bei ihm noch in die Lehre gehen. Ja, so könnte es eigentlich sein, wenn man die Begriffe einmal wörtlich nimmt. Dass es allerdings eher selten der Fall ist, dass sich Großzügigkeit und Unternehmertum vereinen (selten aber nicht unmöglich, wie ich betonen möchte), werden die meisten schon am eigenen Leib erfahren haben. Aber ich schweife ab.
Tarifverhandlungen also. Es gab eine Zeit, als der normal arbeitende Mensch in den großen Industrienationen versklavt, oder zumindest über die Maßen ausgebeutet wurde, von den Leuten, für die er arbeitete. Die Bedingungen waren besonders in den großen Industriebetrieben menschenunwürdig und der Lohn reichte kaum, um die eigene Familie am Leben zu halten. In dieser Zeit wurden Gewerkschaften gegründet und es wurde gestreikt, um gelinde gesagt ein menschenwürdiges Arbeitsleben zu erstreiten. Ein Arbeitskampf war damals ein Kampf im wahrsten Sinne des Wortes und nicht selten riskierten die Arbeiter ihr Leben, wenn sie sich gegen die Obrigkeiten der Arbeitgeber auflehnten. Man mag sich gar nicht ausmalen, wo wir heute ohne die Gewerkschaften wären. Soviel vorweg. Nicht dass es nachher heißt, ich würde sozusagen das eigene Nest beschmutzen.
Kommen wir nun zum Eigentlichen. Eine große Gewerkschaft ist zur Zeit wieder in Tarifverhandlungen mit den dazugehörigen Arbeitgeberverbänden. Soweit so gut. Die Gewerkschaft fordert unter anderem 6% mehr Lohn für die Beschäftigten. Und jeder Depp weiß, dass sich da kein Unternehmer drauf einlassen würde. Die Arbeitgeber bieten 2% und es ist sofort klar, dass hier Konfliktpotential vorhanden ist. Es wird mit den Säbeln gerasselt und erste Warnstreiks werden abgehalten. Selbst der Blödeste erkennt, dass die Lösung wahrscheinlich in der Mitte liegt. Ich sag mal so bei 3,5 bis 4%. Wie einfach wäre es, wenn jetzt die Spitzenvertreter der beiden Lager kurz miteinander telefonierten und sich auf eine dieser beiden Zahlen einigten. Fünf Minuten Gespräch, davon viereinhalb Minuten über das Wetter und darüber was die Kinder so machen und fertig. Die Arbeiter hätten mehr Geld, die Unternehmer wären nicht über die Maßen geschröpft und mit einem leicht juckenden Auge (für ein weinendes hätte es nicht gereicht) wären alle soweit zufrieden. Man nennt so etwas einen Kompromiss schließen.
Es könnte so einfach sein. Utopischerweise könnte man sich auch den Gedanken erlauben, dass die Forderung der Gewerkschaft von Anfang an moderater wäre. „Wir fordern 3% mehr Lohn“, würde der Arbeitnehmervertreter sagen. Sein Gegenspieler würde kurz überlegen und sagen:“ Weißt Du was, wir wissen zu schätzen, was Ihr für uns tut und bieten Euch 3,5%.“ Die Sonne würde scheinen und eine Heerschar von Engeln würde im Hintergrund Hosianna singen. Ach, es könnte so schön sein. Natürlich würde das im echten Leben nie so laufen. Da würde jeder moderate Ton als Schwäche gedeutet werden und wenn die Einen 3% wollten, böten die Anderen nur 1%. Oder wenn die Anderen 3% bieten würden, wollten die Einen dann doch lieber 6%. Gier und Unnachgiebigkeit scheinen in der menschlichen Natur zu liegen. Direkt neben dem Egoismus und der Unvernunft. Und für alle, die sich schon immer gefragt haben, was eigentlich bei den großen Tarifverhandlungen abgeht, sei hier ein Blick hinter die Kulissen gewährt…..
Die Tarifkommission einer sehr großen Gewerkschaft sitzt in einem mondänen Büro zusammen, das in diesem sehr großen Gewerkschaftsgebäude die gesamte obere Etage einnimmt und einen herrlichen Blick auf die Stadt bietet. Es ist eine siebenköpfige Gruppe. Sechs Männer und eine Frau, die wegen der Quote dabei sein muss. Eine Quote, die die Gewerkschaft selbst erstritten hatte und die nicht jeder in diesem Raum für gut befindet. Der Vorsitzende ergreift das Wort: „Es ist also wieder an der Zeit, dass wir eine Forderung stellen müssen. Unsere Mitglieder erwarten das von uns. Jetzt denkt sich jeder einmal eine Zahl zwischen eins und zehn aus.“ „Zwei“, sagt der erste. „Neun“, der Nächste. Es wird unruhig. „Eins!“ wird gerufen und „Elf!“ An dieser Stelle unterbricht der Vorsitzende:“ So kommen wir nicht weiter. Wir vertagen uns und dann möchte ich ein paar ernsthaftere Vorschläge haben!“
Zwei Tage später wird mittels eines Würfelbechers nach einer geeigneten Forderung gesucht. Nach einer dreistündigen Marathonsitzung kommt es zu folgenden Erkenntnissen: Erstens, die Zahl sechs hat sich durch eine ungewöhnliche Häufigkeit als Verhandlungsziel etabliert und zweitens hat Kommissionsmitglied Schmidt ein glückliches Händchen beim Kniffeln. Ein offizielles Schriftstück wird aufgesetzt, aber erst nachdem der Cateringservice den erschöpften Mitgliedern und der Mitgliederin mit erlesenen Speisen und Getränken zur Hilfe geeilt ist. Es ist ein harter Job, wenn man Millionen von Arbeitern vertritt und da hat man es sich doch verdammt nochmal verdient, sich ein wenig Luxus zu gönnen. Ein Studienabsolvent, mit Master in der Tasche, der hier zum Nulltarif als Praktikant ausgenutzt wird, bekommt die feierliche Aufgabe, den Eilkurier zu spielen und die Forderung an die Arbeitnehmervertreter zu übermitteln. Ihm ist mulmig zumute, denn wie er aus seiner umfassenden Bildung weiß, wurden in antiken Zeiten die Überbringer schlechter Botschaften auch gerne mal hingerichtet. Mit der Hoffnung im Gepäck, dass diese Unsitte heutzutage nicht mehr existent ist, macht er sich auf den Weg.
„Sechs Prozent also“, murmelt der Arbeitgebervertreter nachdem er den Umschlag geöffnet hat, „das bedeutet Krieg!“ Die Tarifkommission der Arbeitgeberschaft sitzt zusammen in einem mondänen Büro, das die komplette oberste Etage dieses mondänen Firmengebäudes einnimmt und berät, wie sie auf diese unverschämte Forderung der Gewerkschaft reagieren soll. Im Raum befinden sich sieben Personen. Sechs Männer und eine Quotenfrau. Dass die Frau dabei ist, hat die Gewerkschaft erstritten und nicht jeder hier ist froh darüber. „Was machen wir nun?“ fragt der Vorsitzende. Es herrscht Ratlosigkeit. Teams werden gebildet, mit der Aufgabe, spätestens zum Feierabend ein Angebot zu finden, dass möglichst weit unter der Forderung bleibt. Gegen 17.00 Uhr ist es dann soweit. Mittels Power Point Präsentationen und verschiedenster Grafiken werden die Ergebnisse der einzelnen Gruppen vorgestellt. Dem Vorsitzenden sind das allerdings wesentlich zuviel Fakten und Zahlen. Es brummt in seinem Kopf und er möchte lieber eindeutige Resultate präsentiert bekommen. „Sieben Prozent“, sagt Gruppensprecher A. „Liegen wir dann nicht drüber?“ fragt der Vorsitzende investigativ nach. Gruppe B und C sind noch nicht soweit. „Wir stecken noch in der Analyse“, sagt B. „Wir haben Hunger!“ sagt C……. Hunger….Ja, das versteht jeder. Über eine Art „rotes Telefon“ wird bei der Gewerkschaft angerufen, ob sie ihren Catering-Service empfehlen könnten, oder lieber nicht.
Die Presse hat mittlerweile mitbekommen, dass die ersten Erschütterungen im Gebälk des Tarifvertrages zu vernehmen sind und postiert sich vor dem Arbeitgeberlager. In der oberen Etage werden gerade
Wachteleier und Kaviar verspeist und das älteste Kommissionsmitglied wird nach unten geschickt, um mit der Reportermeute zu sprechen. Er nennt die Forderung der Gewerkschaft haltlos und mit Tränen in den Augen appelliert er an die Vernunft der Arbeitnehmer, das zarte Pflänzchen Konjunktur nicht zu zerstören. „Wir beraten uns noch, aber einer Sache können sie gewiss sein“, sagt er ,“wir werden nicht klein beigeben!“. Es geht in die Nachtsitzung. Mit rot geränderten Augen und einer leichten Champagnerfahne begibt sich in den frühen Morgenstunden erneut der Sprecher zu den Pressevertretern. „Zwei Prozent“, sagt er, “ das ist unser äußerstes Angebot!“
Ein Sprecher der Gewerkschaft nennt das Angebot der Arbeitgeber „lächerlich“ und mit erhobener (Arbeiter)Faust ruft er alle Mitglieder seiner Gewerkschaft zum Arbeitskampf auf. Erste Warnstreiks sind unvermeidlich und werden sehr zeitnah in die Tat umgesetzt. Derweil arbeitet man auf höchster Ebene an einer direkten Kommunikation der Tarifparteien. Die Stimmung ist also aufgeheizt und die Kommissionen beider Lager treffen auf neutralem Boden aufeinander, zu ersten Sondierungsgesprächen. Eine Beratung hinter verschlossenen Türen. Draußen warten gespannt die Vertreter der Medien, um die neuesten Meldungen brühwarm präsentiert zu bekommen. Drinnen sitzen sich die vierzehn Personen gegenüber. Unversöhnlich gegenüber….sollte man zumindest meinen. Aber, man kennt sich schon aus diversen Verhandlungen und hat einander schätzen gelernt. Auch die beiden Quotenfrauen waren sich schon von Anfang an sympatisch. Da man sich schon aus vergangenen Sitzungen kennt, fällt die Begrüßung herzlich aus. Umarmungen hier, Bussi-Bussi dort und ein heiterer Grundton allerorten.
Es folgen Gespräche über das Wetter und darüber, was die Kinder so machen, bevor es dann doch etwas ernster wird. Der Vorsitzende der Arbeitgeber ergreift das Wort: „Wie Sie alle wissen, sind wir hier nicht zusammen gekommen, um einfachen Smalltalk abzuhalten. Die Lage ist ernst und wir haben einen Auftrag.“ „Hans Dieter, da stimme ich Dir zu“, sagt Rüdiger, der Arbeitnehmerführer. Er und Hans Dieter kennen sich sehr gut und spielen heimlich Golf miteinander. Es wird still im Raum und mit einer Mischung aus Furcht und Vorfreude, harren die Teilnehmer der Dinge, die nun folgen sollen. Rüdiger sagt, er habe sich „darum“ gekümmert und es dauert nicht lange, bis das „darum“ durch eine geheime Nebeneingangstür eintritt. Rüdiger hat einen Eventmanager verpflichtet und dieser feuert aus allen Rohren, um aus einer schnöden Sitzung eine rauschende Party zu machen. Es wird getrunken, gespeist und getanzt, als gäb´s kein morgen mehr. Bis es dann soweit ist und man wieder der Presse entgegen tritt.
5 Uhr in der Früh, sichtlich angeschlagen geben Rüdiger und Hans Dieter eine erste Konferenz. „Es waren harte Gespräche und während unsere Positionen auf manchen Gebieten unverrückbar geblieben sind, gab es doch schon erste Annäherungen“, sagt Hans Dieter und spielt darauf an, dass Ute von der Gewerkschaft mit Helmut von den Arbeitgebern ein Techtelmechtel auf dem kalten Büffet hatte. „Ich als Arbeitgebervertreter…“, beginnt Rüdiger seinen Satz. „Verzeihung, sollten Sie nicht eigentlich der Gewerkschaftsvorsitzende sein?“ unterbricht ihn ein neunmalkluger Reporter. „Ach ja, sicher. Wo habe ich nur meinen Kopf. Da können sie mal sehen, wie intensiv die Gespräche gewesen sind. Also ich als Vertreter der Arbeitnehmerschaft kann nur sagen, dass es nicht hoffnungslos ist, aber es liegt noch ein verdammt harter Weg vor uns.“
Womit er Recht behalten soll. Eine Reihe weiterer „intensiver Gespräche“ folgt und es macht sich Ermüdung, ob der ganzen Völlerei breit. Um die Mannschaften bei Laune zu halten, verpflichtet man brasilianische Tänzerinnen und ein paar Mitglieder der Chippendales. Das hebt die Stimmung zumindest vorübergehend. Derweil tobt in der realen Welt der Arbeitskampf und durch die Streiks werden Millionen verpulvert. Man ist in einer Sackgasse. Einerseits möchte man die Verhandlungen nicht abbrechen, aber andererseits ist die Luft raus. Ein Schlichter muss her. Und so wird ein unabhängiger Vertreter aus der Politik gesucht. Gern jemand, dessen beste Zeiten vorüber sind, der aber weiß, wie man ein Fass aufmacht. Es wird wirklich jemand gefunden und nach einem finalen Partymarathon ist es soweit. Es gibt Ergebnisse. Hans Dieter und Rüdiger treten vor die Presse und man kann im ersten Moment nicht erkennen, wer von beiden wer ist. Was sicherlich auch ein bisschen damit zusammenhängt, dass sie denselben Schneider haben.
„Durch den Einsatz eines Schlichters und durch eine grundlegende Kompromissbereitschaft in beiden Lagern haben wir nun ein Ergebnis erzielt, das für eine bessere Zukunft steht und das Signalwirkung haben könnte, für Tarifverhandlungen in anderen Bereichen“, sagt Rüdiger und Hans Dieter ergänzt: “ Die Gespräche waren hart in der Sache aber immer sachlich und fair und auch ich sehe die Weitsicht, mit der wir nun zu einem Abschluss gekommen sind.“ Man reicht sich die Hände und verabredet sich flüsternd zum Golfen. Der Rest der Kommissionsmitglieder und Mitgliederinnen liegt derweil erschöpft zu Hause im Bett und mit etwas Wehmut stellt man im Stillen fest, dass diese tollen Tage doch einfach zu schnell vergehen. Ach ja, das Ergebnis. Da war ja noch was. Es waren dann „überraschende“ 3,5%…….da wäre vorher nie im Leben irgendjemand drauf gekommen.