Das scharfe Schwert des Roger Whittaker

Wir haben einen Strand. Hmmh, das klingt jetzt vielleicht etwas falsch. Natürlich haben wir keinen Strand, also keinen der uns gehört. Aber das Hotel hat einen, der auf den ersten Blick fein besandet ist, aber wie bei der Seele eines Psychopathen steckt viel unter der glatten Oberfläche. In diesem Fall sind es keine bösartigen Sachen, sondern Steine. Steine in vielen Größen und Formen. Von klein und flach bis groß und rund. Letztere ähneln mir also. Und sie alle wollen meinen Füßen und den Hasenfüßen weh tun. Was vielleicht noch nicht ganz psychopathisch ist, aber immerhin ein klein wenig fies. Es wimmelt nur so von diesen Steinen und geht weiter bis zu dem Bereich, an dem das Wasser beginnt. Dann wird es besser. Aber der Weg zum Wasser ist ein steiniger.

Damit es nicht so aussieht,als würden wir über glühende Kohlen laufen und damit alles nicht so weh tut und ich deswegen laut „aua“ sagen muss, haben wir uns Badeschuhe zugelegt. Diese sind nicht zu verwechseln mit Badelatschen. Badelatschen sind ja noch ein bisschen cool. Badeschuhe hingegen sind so ziemlich das Uncoolste und Hässlichste, was man sich an die Füße ziehen kann. Meine sind aus einem schwarzen Stoff und einer festen Sohle. Hässlich wie die Nacht machen sie mich um 40 Jahre älter und ich sehe spießig aus. So richtig wie man sich einen alten Sack als Touristen nunmal vorstellt. Mit Badeschuhen an den Füßen fühle ich mich, als würde ich Sandalen mit weißen Kniestrümpfen tragen. Dazu Shorts in beige, ein kariertes Hemd, eine beige Weste und als Topping eine dieser Sonnenbrillen, bei denen man die Gläser hochklappen kann und dann aussieht wie Wall E für Arme. Ich sehe so aus, wie die Leute aussehen, über die ich mich immer lustig gemacht habe. So weit ist es nun also gekommen. Der Hase sieht im Übrigen hundertmal besser damit aus. Merke, ein Hase kann so ziemlich alles tragen, ein Hasenbändiger eigentlich nicht.

Normalerweise wäre es mir hochgradig peinlich diese hässlichen und schwarzen Badeschuhe zu tragen und ich würde mir solche Dinger nie und nimmer an die Füße pappen. Aber hier in diesem Urlaub stehe ich über den Dingen. Es ist mir völlig egal, was die Leute denken. Ich fühle mich einfach frei. So frei, dass ich unter anderem ungeachtet meines Aussehens einfach nur mit einer Badehose bekleidet (ja, und mit Badeschuhen) ins Wasser steige, wohlwissend, das zwischen mir und Mister Universum einige gravierende optische Unterschiede bestehen. Ich bin nah dran, aber es ist noch Luft nach oben. Aber ich traue mich, so einzulaufen wie ich bin und dazu mit diesen merkwürdigen Badeschuhen an den Füßen. Es ist mir egal was die Leute denken. Das ist der Beweis dafür, dass ich wirklich locker bin. Ich bin also angekommen im Urlaub.

An einem Abend bin ich sogar so weit, dass ich mir gestatte zu lachen. Ich bin kein ernsthafter Mensch, nicht ernsthafter als die meisten Leute. Ich bin eigentlich eher eine Frohnatur. Aber ich lache selten. Drei bis sieben Mal im Jahr vielleicht und dann auch eher so eine Art verkniffenes Glucksen, weil ich Angst habe, mir die Sauerstoffzufuhr zu unterbrechen und dann ohnmächtig zu werden. Also unterdrücke ich dann den Lachschwall und der aufgestaute Druck führt zu einigen seltsamen Phänomenen. Ich quieke dann ein wenig, laufe rot an und die Augen treten ein bisschen hervor. Hier aber an diesem Abend in diesem Hotel auf diesem Zimmer, lache ich so, wie ich schon lange nicht mehr gelacht habe. So aus der vollen Lunge raus. Über einen eigenen Witz natürlich, aber das ist ziemlich egal. Es ist wie eine Art Befreiung. Den Verstand ausschalten und einfach mal loslassen. Und das ist es, was dieser Urlaub für mich bedeutet: Frei sein, in allen Dingen! Ein Gefühl, dass anscheinend ansteckend wirkt. Der Hase ist sogar so weit, dass sie sich keine Sorgen um die Arbeit und alles andere auf der Welt macht. Und das soll was heißen, denn der Hase macht sich immer Sorgen. Egal, ob nun ein Anlass dafür besteht, oder eben nicht. Anlässe sind beim Hasen überflüssig. Deshalb grenzt es beinahe an ein Wunder, dass der Hasensorgenmachmodus komplett ausgeschaltet ist. Faszinierend! Der Urlaub hat uns verändert und es gefällt uns, wie er es getan hat. Kurzum, wir wollen nie wieder weg.

„Die Kinder kommen auch ohne uns klar“ ,sage ich, „die sind alt genug. Wir sollten hier bleiben. Nur für ein paar Monate.“ Und ich sehe dem Hasen an, dass sie auch ernsthaft über diese Option nachdenkt. „Welche Kinder?“, fragt sie. Aber natürlich wissen wir, nichts währt ewig. Auch der schönste Urlaub geht mal zu Ende. Und eben dieses Ende rückt näher. Immer näher bis es schließlich vor der Tür steht, wie Weihnachten Ende Dezember.

Und das betrübt mich am vorletzten Morgen. Schluss mit Lustig, jetzt ist Traurig an der Reihe. Das Frühstück fühlt sich an, wie eine Henkersmahlzeit und nichts will mir schmecken. Ich wirke mürrisch, was ich aber nicht bin. Ich sehe mir alles nur genau an heute morgen. Den fulminanten Blick von unserem Balkon mit dem pünktlich, wie gebucht, erscheinenden Sonnenaufgang. Die Leute vom Service, die hier in den Morgenstunden alles wieder auf Vordermann bringen. Unsere Bedienungen, die uns die ganzen Tage schon begleitet haben und von denen wir fast meinen, sie wären extra nur für uns eingestellt worden. Das Meer, den Pool, den Strand, das Hotel, die Umgebung, einfach alles, was unseren Aufenthalt so überaus angenehm gestaltet hat. Das Wissen, dass all das morgen vorbei ist, schlägt mir auf´s Gemüt. Ich würde einfach wieder lieber lachen, so wie gestern Abend. Aber das will mir gerade mal nicht gelingen. Ich bin in einer Trauerkloßstimmung und ziehe alle runter, die in meiner Nähe sind. Wenn ich irgendwo an einer Blume vorbeigehe, wechselt sie ihren Farbton in grau oder zieht die Blüten zusammen, als müssten diese geschützt werden.

Dem Hasen kommt das komisch vor und wenn dem Hasen irgendwas irgendwie komisch vorkommt, dann muss es raus aus dem Hasen. Sie muss dann fragen, sonst würde sie platzen: „Alles gut?“ „Alles Bestens“, lüge ich, weil ich nicht drüber reden will, das macht mich nur noch trauriger und ich denke ein bisschen an die armen Blumen, an denen ich noch vorbeigehen werde. „Was ist mit Dir los? Ich sehe doch, dass Du irgendwas hast.“ „Nein, ich habe nichts.“ „Aber warum guckst Du dann so tranig aus der Wäsche? Du hast doch was.“ „Nein, ich habe nichts!“ Wer in unserer Nähe ist und es unbedingt will, kann diesem Dialog noch rund 25 Minuten lauschen, ohne dass sich daran irgendwas ändert. Dem Hasen wird es zu blöd und sie ist etwas ungehalten: „Wenn Du schon nicht sagen willst, was mit Dir ist, dann hör mal auf hier so zu schmollen!“ Der Tonfall wird schärfer. Aber der Hase irrt, ich schmolle nicht und ich sage: „Du irrst, ich schmolle nicht!“ Die Leute die uns sehen, laufen schnell an uns vorbei. Schließlich haben sie hier Vergnügen gebucht. „Das hatten wir auch“, rufe ich einem Flüchtenden hinterher, der komischerweise nicht weiß, was ich meine und dann lieber etwas schneller geht. Ignorant!

Aber mein Hase, der jede Stasi Verhörmethode beherrscht, bohrt so lange weiter, bis ich nachgebe und sage, was mich umtreibt und wie es in mir aussieht. „Warum hast Du das nicht gleich gesagt?“ Tja, warum nur? Vielleicht einfach nur, weil ich sonst meine Fassung, die ich mühsam aufrecht erhalte, verloren hätte. Ich habe es nicht immer so mit Abschieden. Ein Abschied ist immer auch das scharfe Schwert des Roger Whittaker. Erst als der Hase mir erläutert, dass wir faktisch noch so ziemlich zwei Tage hier sind, erkenne ich, dass ich mit meinem Trübsal ein bisschen zu früh dran bin. Also ziehe ich mir die Badeschuhe, die mich woanders wahrscheinlich zum Gespött gemacht hätten, über meine Füße und wir gehen mal wieder ins Mittelmeer. Welches mich jeden Tag zwei- bis dreimal beherbergen darf und auch immer ein bisschen durchschaukelt. Es ist zwar kein hoher Seegang, aber man wackelt kontinuierlich. Ein Gefühl, dass ich die ganzen Tage auch am Land nicht mehr loswerde. Ich schwanke innerlich und muss dafür nicht mal was trinken. Faszinierend. Es ist ein bisschen so, wie früher, als ich noch ein Kind war. Wenn wir damals mal zum Freimarkt fuhren und ich in ein paar schnelleren Fahrgeschäften gewesen bin, dann hatte es sich auf der Rückfahrt im Zug immer so angefühlt, als würde ich direkt noch drin sitzen. Eine Art Extrafahrt, wenn man so will. Ich liebe dieses leichte Schaukeln, dass mich hier am Mittelmeer jeden Tag begleitet und mir wird klar, dass es sich morgen ausgeschaukelt haben wird. Schnief.

Der letzte Abend ist, wie ein letzter Abend so ist. Wir schlendern in diese eine Bar, in der wir häufiger gesessen haben, bestellen uns Bier und Cocktail und blicken auf die Leute, das Hotel und den Pool und das Meer im Dunkeln. Wir saugen noch einmal alles auf, was man aufsaugen kann und spülen den jeweiligen Kloß im jeweiligen Hals herunter und sind oberflächlich immer noch fröhlich. „Morgen Abend, sind wir nicht mehr hier“, sage ich. Ich der Garant dafür, auch mal die Stimmung ein bisschen zu drücken. „Ich weiß“, sagt der Hase, „schlimm, nicht?“ „Ja, schade.“ Wenn man Gefühle in Musik ausdrücken wollte, dann wären wir von einer Polka in einen Trauermarsch geschlittert. Missmutig steigen wir in den Fahrstuhl, gehen in unser Zimmer und nächtigen ein letztes Mal in diesem schwer bequemen Bett.

Am nächsten Tag habe ich meine Fassung wieder zurückbekommen und gebe mich ein bisschen der Heiterkeit hin. Wie am ersten Morgen, nehmen wir uns auch am letzten Morgen einen Sekt zum Frühstück. Schon schaukelt die Welt wieder, auch ohne Mittelmeer. Mittleerweile bin ich auch zu einem „Handtuch auf die Liege Leger“ degeneriert und habe schon um sieben, pünktlich zum Sonnenaufgang unsere Tücher auf ein paar ansprechende Liegen gelegt. Es ist ja so, dass wir das Zimmer nur noch für ein paar Stündchen nutzen können, aber noch den ganzen Tag, bis hin zum Abendessen, hier verbringen werden. Unser Flieger geht so spät. Also ist es unerlässlich, dass wir auch ein paar Liegen haben müssen. Wir planschen noch ein paarmal im Mittelmeer, gehen mittags noch einmal in unseren Speisesaal und essen uns durch das famose Menü. Ich beende das Buch, dass ich hier in den letzten Tagen immer gelesen habe und irgendwann geht es ein letztes Mal ins Wasser, mit diesen Badeschuhen. Was werde ich die vermissen. Am Strand gibt es eine kleine Umkleidekabine, die wir nutzen. Und wenn ich klein sage, dann meine ich klein. Einige Haltungen, die ich beim Umziehen einnehmen muss, könnten aus einem Yogakurs stammen und ich habe Bedenken, dass ich nie wieder in den Ursprungszustand zurück kann. Eine unberechtigte Sorge, wie sich herausstellt.

Dann ein letztes Abendessen und ein letztes Mal, dass uns unser Bedienpersonal bedient. Und als wir so ziemlich durch sind, mit Allem, möchten wir einfach mal Danke sagen und dem Gesagten auch eine kleine Geldspende beifügen. Also rufen wir den „Blubb Blubb Kellner“ zu uns und ich packe meinen gesamten englischen Wortschatz aus, um ihm mitzuteilen, wie schön es hier war und wie angetan wir davon sind, wie man uns hier immer umsorgt hat und dass es uns gefallen hat und dass wir das Hotel so toll fanden und dass das Essen immer so lecker war und dass wir einfach nur eine schöne Zeit hatten. Und all dieses, was ich sagen will übersetze ich ins Englische und sage: „Great Pleasure!“ Und um dem Ganzen noch eins drauf zu setzen, sage ich: „Great Pleasure for us!“ Das wiederhole ich ein paarmal und füge noch ein „Very“ ein, um auch wirklich zu zeigen, wie es uns gefallen hat. Herr Blubb Blubb versteht nicht ganz, weswegen eine Kollegin dazu kommt und das Gespräch noch um ein paar Brocken Deutsch erweitert. Und so sagen wir dreisprachig, was alles so toll gewesen ist und wir vier sind alle wirklich gerührt und der Hase und ich müssen uns ein kleines Tränchen aus dem Augenwinkel wischen. Und Kellner und Kellnerin sind auch ziemlich gerührt. Wir sollten hier bleiben, denke ich und ich lese des Hasens Gedanken, die genau das gleiche sagen.

Dann ist es so weit, das Mahl ist gemahlen, das Essen gegessen und der Drink gedrunkt. Feierabend! Ein großer Bus kommt, um uns und einen großen Pulk von Abreisenden abzuholen und zum Flughafen zu bringen. Alles Deutsche, wie ich vermute, denn genauso war es ja bei der Ankunft, da waren auch nur Deutsche im Bus. Ein letzter Blick zum Hotel und ein letzter Kloß im Hals und die Abreise kann kommen. Der Bus fährt los und weil wir ja zweimal in Rhodos Stadt waren und weil wir einmal mit dem Auto über die Insel gefahren sind, wissen wir in etwa, wie der Bus fahren wird, um an den Flughafen zu gelangen. Nur der Busfahrer scheint nicht über diese Information zu verfügen. Er biegt irgendwo ab, wo wir es ganz bestimmt nie getan hätten. Das bleibt dem Hasen natürlich nicht verborgen: „Der fährt nicht den richtigen Weg!“ „Ich denke schon, dass der weiß, was er tut“, versuche ich zu beschwichtigen. „Und wenn es der falsche Bus ist?“ „Kann nicht sein“, sage ich, „ich habe die anderen beiden Pärchen von der Hinreise auch hier im Bus gesehen.“ „Das kann aber trotzdem nicht richtig sein“, bemerkt der Hase und fügt nonverbal hinzu, dass der Hase es gerne hätte, wenn irgendwer einmal zum Busfahrer gehen würde, um dieses Missverständnis aufzuklären. Mit irgendwer bin natürlich ich gemeint. Aber ich verweise ohne Worte darauf, dass man einen Busfahrer ja grundsätzlich niemals während der Fahrt ansprechen soll. Manchmal brauchen wir keine Worte, um uns zu verstehen. „Ich denke, er kennt den Weg“, sage ich abschließend.

Eine Überzeugung von der ich abrücke, als ich erkenne, was für Wege er fährt. Die Gassen werden enger, die Gegend wirkt einsamer und finsterer. Manchmal fahren wir durch Wohngebiete mit engen Gassen, die so eng sind, dass rein physikalisch der Bus eigentlich hier nicht durch passen könnte. Es würde mich nicht wundern, wenn er mit den Außenspiegeln die Gardinen in den angrenzenden Wohnungen beiseite schiebt. Es ist so eng hier, dass die Hauswände eins werden mit dem Bus und dann gibt es noch Gegenverkehr. Einen Bus zum Beispiel. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll, aber es geht irgendwie. Der Grieche an und für sich ist ein Meister im meistern von solchen Situationen. Man muss nur entspannt bleiben. Inmitten von solchen Siedlungen halten wir an ein paar Hotels an. bei manchen steigen Leute zu und bei anderen wieder nicht. Irgendwann sind wir außerhalb der Stadt auf Wegen und Straßen, die über den Rand der Welt zu führen scheinen. Niemand will hier freiwillig langfahren, vermute ich und halte Ausschau nach einem Fuchs, damit der sich mit dem Hasen eine gute Nacht wünschen kann. Es ist schließlich auch schon dunkel.

Und dann, als ich die Gewissheit zu haben scheine, dass diese Straße irgendwo im Nirgendwo enden wird und wir ausgesetzt werden, erblicke ich am Horizont einige Lichter und ich sehe die Positionsleuchten von startenden und landenden Flugzeugen. Wenn ich nur wüsste, was das zu bedeuten hat. „Guck mal, der Flughafen“, sagt der Hase. Ah, das also. Es bedarf aber noch einiger verschlungener Windungen und Wendungen, bis wir dann letztendlich ankommen. Wir parken vor dem Flughafengebäude und die Vordertür wird geöffnet und eine junge Frau steigt ein. Sie schnappt sich ein Mikrofon und beginnt zu sprechen und es sind fast nur „R´s“ in dem was sie spricht und ich verstehe kein Wort, Mein Russisch ist noch nicht so besonders gut. Schon während der Fahrt war mir aufgefallen, dass einige der Mitreisenden russisch sprachen, Also denke ich, dass diese junge Frau da ist, um ihren Landsleuten einige sachdienliche Informationen angedeihen zu lassen.

Offensichtlich hat sie dafür wenig Zeit, denn sie spricht sehr schnell. Wenn es für Sprachgeschwindigkeit eine Schallmauer gäbe, sie würde sie locker wegblasen. Sie spricht in Lichtgeschwindigkeit. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so viel „Hrrga Brrrga Frrrgorrnschetwitsch“ in einer derart kurzen Zeit gehört. Es ist als würde sie in 2 Minuten Leo Tolstois Krieg und Frieden in der ursprünglichen Sprache vorlesen. Die Silben fliegen wie aus der Maschinenpistole (Kalaschnikow) geschossen durch den Bus und ich gehe unwillkürlich in Deckung. Dann endet der Vortrag, ebenso abrupt, wie er begonnen hat und wie von der Tarantel gestochen springen die meisten Reisenden auf. Wahrscheinlich alles Russen, die genau instruiert wurden. Aber was ist mit uns? Müssen wir jetzt auch raus, oder kommt gleich eine deutsche junge Frau, die uns einen ähnlichen Vortrag hält? Der Hase und ich sind etwas verwirrt. Aber als wir sehen, dass auch die anderen deutschen Pärchen aussteigen, verlassen auch wir den Bus.

Wir suchen unser Gate und finden es. Wir geben das Gepäck auf, nachdem wir eine lange Zeit warten mussten, und warten dann nochmal vor dem Abflugterminal. Mein Handyakku ist ziemlich leer und ich habe ein Ladekabel, also suche ich eine Steckdose und werde fündig. Auch wenn es irgendwie merkwürdig aussieht, wenn man hier irgendeine Steckdose nutzt, die vielleicht nur vom Reinigungspersonal gebraucht wird. Aber mir egal, wenn es ein moderner Flughafen wäre, dann würde es hier eine Art Ladestation für Handys geben. Gibt es auch, wie mir der Hase dann zeigt. Und zwar genau neben der Steckdose, die ich gerade belegt habe. Ein blauer Kasten, der so in etwas mannshoch ist und Steckplätze für alle nur erdenklichen Anschlüsse hat. Manchmal sieht man den Baum vor lauter Wald nicht. Was für ein moderner Flughafen.

Dann ist es soweit, wir können in den Flieger, zu dem wir wieder mit einem Bus über das Rollfeld gebracht werden. Genaugenommen steigen wir ein, fahren um ein Flugzeug herum und halten nach 123m Fahrt wieder an. Zu Fuß wären wir schneller gewesen. Wir steigen ein und ich bin kein Stück aufgeregt, schließlich habe ich nun ja schon Flugerfahrungen sammeln können. Der Rückflug ist im Prinzip ein Abbild vom Hinflug. Man versteht den Kapitän nicht wirklich, die Stewardess führt wieder ein bisschen Rettungsphantomime vor und der Sitzplatz neben uns bleibt frei. Es ist beinahe alles so wie vor neun Tagen, nur die Umstände nicht. Denn wir haben nicht mehr diese Vorfreude in uns, die man hat, wenn man einen Urlaub beginnt, sondern das fade Gefühl, dass diese Vorfreude ebenso eine Erinnerung geworden ist, wie die Erlebnisse in diesem, unserem, schönen Urlaub. Und ich sitze da, bei unserem Flug durch die Nacht und habe einen Kopfhörer auf und höre ein paar deprimierende Lieder, während der Hase neben mir versucht zu schlafen. Wir hängen unseren Gedanken nach und man muss kein Prophet sein, um sie lesen zu können. Dieser Urlaub war schön, sehr schön und es wird mit Sicherheit nicht der letzte seiner Art gewesen sein. Die Welt ist groß und es gibt viele Ecken, zu denen wir noch reisen wollen. Ob diese Ecken uns auch sehen möchten, das bleibt eine spannende Frage.

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