„Ich hab ein Haus, ein kunterbuntes Haus, ein Äffchen und ein Pferd, die schauen da zum Fenster raus….“ Wer kennt ihn nicht den legendären Refrain von Pipi Langstrumpf. Ich hingegen hatte weder die Stimmlage von Frau Langstrumpf, noch Äffchen, noch Pferd. Dafür hatte ich einen Hasen und zwei Kinder aber kein Haus, zumindest kein eigenes. Letzteres hätte ich gerne. Es müsste auch nicht kunterbunt sein. Einfach, mit rotem Verblender würde auch reichen. Der Hase hätte es auch sehr gerne und dann würden wir alle aus den Fenstern schauen. Das wären dann die sogenannten Schauwerte, die dieses Haus mit sich brächte.
Eines Tages, es war im Jahr 2003, im Frühling, vermute ich, fuhren wir mit dem Rad und den Kindern durch Bötersen und dabei auch über eine dürftig asphaltierte Straße, die mit einzelnen, wenigen Häusern gesäumt war. Manche von ihnen noch im Bau, andere bereits fertig und bezogen. Vor einem Stück grüner Wiese hielten wir an, stiegen ab und blickten versonnen auf den Acker. „Kinder, hier werden wir bald wohnen“, sagten der Hase und ich und die Kinder hatten die Befürchtung, dass es in den Oberstübchen ihrer Eltern etwas bedenklich zugehen könnte. Schließlich bewohnten sie mit uns doch dieses schöne Haus. Warum zum Geier sollten sie auf einmal mit uns auf einer Wiese wohnen? Wo sollten die Möbel stehen und wo war hier ein Klo?
Was sie natürlich nicht wissen konnten war, dass wir vor unserem Grundstück standen, auf dem wir dann auch ein Haus bauen wollten. Was aber streng genommen so nicht richtig war, denn das Grundstück gehörte uns noch nicht und ob wir wirklich bauen würden, wussten wir ebenfalls noch nicht. Aber diese kleine Wiese wäre das Grundstück, das uns am meisten zusagen könnte, in diesem Neubaugebiet, dass hier entstand. Der Wille war da und zwar wesentlich ernsthafter als je zuvor und wir zerbrachen uns die Köpfe, wie wir bei allem den Anfang finden könnten.
Die konkretere Verfolgung unseres großen Lebensziels verdankte ich einem Gespräch mit einem damaligen Kollegen, der ein paar Jahre davor auch gebaut hatte. Da er dies bereits getan hatte, kannte er sich auch ein bisschen mit den ungefähren Kosten aus. „Wenn Du da jede Menge selber machst und auch ein paar andere Helfer hast, dann müsstest Du in etwa mit folgender Summe rechnen“, sagte er und nannte eine Zahl, die für mich so klang, wie die Entfernung von der Erde bis zum Mond.
Dann dröselte er das Ganze noch ein bisschen auf und rechnete sein Beispiel weiter vor. Wenn man das Ganze bei 30 Jahren Laufzeit über einen Kredit finanzieren würde und man die damals aktuellen Zinsen einberechnete, zuzüglich einer Mindesttilgungsrate (was für ein schönes Wort, erinnert mich immer an das Vertilgen von Schnitzeln oder so), dann käme man auf einen monatlichen Abtrag, der zwar höher war, als die Miete die wir zahlten, aber nicht so astronomisch hoch, dass es ganz abwegig wäre, darüber nachzudenken.
Es würde einige Opfer erfordern, aber die Unmöglichkeit dieses Unterfangens war nun in eine gewisse Ferne gerückt. Was uns nun noch fehlte, war das Ergebnis, wie hoch die Summe sein würde, die wir aufnehmen müssten und woraus sie sich zusammensetzen würde. Und da waren sie, unsere Probleme. Denn wenn man ein Haus mit sehr viel Eigenleistung bauen will, dann hat man keine konkreten Angaben. Bei schlüsselfertigem Bauen ist das anders. Da hat man einen Bauträger, der einem sagt, was der Spaß kosten würde, dazu noch der Preis fürs Grundstück, Grunderwerbssteuer, Planungskosten und Gebühren und dann hatte man die Summe X. Die aber weit entfernt von der Summe meines Kollegen war und für uns dann schon eher die Entfernung von der Erde bis zum Mars sein würde. Das war uns zu weit. Wir brauchten eine Summe Y, die uns weniger Angst einjagen würde. Irgendwas, das dichter dran war als der Mars. Snickers vielleicht.
Also würden wir auf die rundum sorglos schlüsselfertig „wir stellen Dir die Hütte hin und Du musst nur noch einziehen“ Variante verzichten und uns auf den steinigen Pfad des Hausbaus in Eigenleistung begeben. Das bedeutete für den ersten Moment, dass wir mit unserer Kalkulation bis zum Snickers noch in sehr trüben Gewässern fischen mussten. Um einen Kredit zu bekommen, mussten wir aber eine gewisse Summe ermittelt haben. Um diese Summe zu ermitteln, mussten wir aber auch wissen, ob wir uns einen Kredit leisten könnten. Das konnten wir aber nur wissen, wenn wir wüssten, wie hoch unsere Kosten werden würden. Es war, als stünden wir vor einem rotierenden Kettenkarussell und wollten versuchen aufzuspringen.
Da wir keinen Bauträger hatten, mussten wir uns um die eventuelle Höhe Kosten für jedes einzelne Gewerk selber kümmern. Dafür mussten wir wissen, wie groß unser Haus werden würde. Um die Größe des Hauses bestimmen zu können, müssten wir aber wissen, was es kostet, damit wir Klarheit darüber bekommen, ob wir uns den Kredit leisten konnten. Das Kettenkarussell drehte sich zusehends schneller. Außerdem, und das war das ganz Schwierige, mussten wir sehen, in welchen Bereichen wir Eigenleistung einbringen könnten, und was uns das an finanziellen Vorteilen bringen würde. Wie viele halbbetrunkene Maurer könnte ich mit mir und ein paar armen Seelen aus der Verwandtschaft und dem Freundeskreis ersetzten? Und wir betrunken müssten die sein. Letztere Frage, war aber für die Kostenermittlung noch nicht von Belang. Es war unglaublich schwer, hier einen Anfang zu finden.
Also legten wir eine ungefähre Größe des Hauses fest und dann ging es langsam in eine richtige Richtung. Beim Baustoffhändler um die Ecke fragten wir nach den ungefähren Preisen für die notwendigen Baustoffe. Dazu konnten wir sagen, was „unser“ Grundstück kosten würde. Die Gemeinde, war da auskunftsfreudig. Dann gab es einen Bauträger, der es einem Bauherren in maximalen Maße ermöglichte, Eigenleistung einzubringen und sein Kostenmodell dementsprechend anzupassen. Hmm, hörte sich eigentlich gut an. Fundamente und Betondecke und ein paar andere Sachen, würden die aber immer selbst ausführen. Und für den Rest konnte man von deren Angebot ein paar Posten streichen. Sodass dann eine ungefähre Summe übrig blieb, mit der man dann in die Kreditaufnahme gehen konnte.
Ein windiger Außendienstler dieses windigen Bauträgers kam dann zu uns, um mit uns über unsere maßgeschneiderte Immobilie zu sprechen. Als er merkte, dass unsere finanziellen Grenzen nahe waren, und diese Grenzen nicht den Grenzen entsprachen, die er gerne hätte, begann er damit, die Zahlen etwas beschönigt zu präsentieren. Als er uns dann sagte, dass man das Anlegen des Gartens mit dem Pflastern der Einfahrt und der Terrasse (O-Ton: “ da legen se mal ein paar Betonplatten hin, die kosten fast nix“) für schlappe 1.000 Euro hinkriegen würde, wurde es unseriös. Selbst ein beschränkter Geist, wie der meine, wusste, dass das eine an den Haaren herbeigezogene und lächerliche Summe war. Außerdem wollten wir es auch irgendwie schön haben und ein paar dürftig verlegte Betonplatten waren das genaue Gegenteil von schön. Wir hakten dieses Kapitel mit dieser Art des begleiteten Hausbaus dann als merkwürdige Erfahrung ab, die uns aber ein paar Grundlagen für eine mögliche Kostenermittlung brachte.
Also wussten wir, wie teuer ein Grundstück ist, was die Baustoffe in etwa kosten würden und wie viele Maurer und andere Handwerker man mit sich selbst und einigen weiteren Spießgesellen kompensieren könnte, zumindest ansatzweise. Dazu kamen noch Planungskosten, Grunderwerbssteuer, Notarkosten, Kosten fürs Richtfest und nicht zu vergessen, ein Dauerauftrag mit einer einschlägigen Brauerei. Letztere Position ist natürlich ein Scherz. Aber so viel war sicher, dieser Bau sollte nicht „trocken“ sein. Mein Vater, der ein Zimmermann war und in den 60ern sein Handwerk erlernte, kannte noch viele alte Bräuche aus dem Bauhandwerk. Einer davon war, dass man einem Bauherren, der über die Bauzeit sich als Geizhals hervortat, einen umgekehrten Reisigbesen anstatt eines Richtkranzes beim Richtfest ans Dach nageln würde. Als weit sichtbares Zeichen für eben diesen Geiz. Soweit sollte es nicht kommen. Das war ein Herzenswunsch von mir. Die Getränkeversorgung musste stimmen.
Mit diesen vorläufigen Ergebnissen und ohne die Bierfrage im Wesentlichen als Punkt unserer Kalkulation zu präsentieren, gingen wir dann zur Bank. Und auch hier hätten die Probleme der Entscheidungsfreudigkeit ins Unermessliche steigen können. Denn die nächste zentrale Frage war, welchem Geldinstitut wir erlauben würden, unser Projekt zu begleiten und zu finanzieren. Es gab schon das Internet und somit gab es auch, neben den örtlichen Banken, jede Menge Kreditgeber, die mit irre günstigen Konditionen um sich warfen. Und wenn ich ehrlich bin, mag ich keine Auswahl. Ich bin der eher gradlinige Typ, der nicht viel davon hält, tausend Angebote zu studieren. So etwas wie Strom- oder Gasanbieter zu wechseln ist wider meine Natur. Am liebsten habe ich es, wenn so etwas mit Anbietern aus der Region über die Bühne geht. Ich habe die altmodische Vorstellung, dass ich dann eher einen persönlichen Ansprechpartner habe und dass der mich nicht hinters Licht führt.
Aber ganz blauäugig bin ich ja auch nicht und so machten der Hase und ich uns daran, mehrere Angebote von Geldhäusern aus der Umgebung einzuholen. Ein bisschen vergleichen schadet nichts bei solchen Summen. Und da war das nächste Problem, denn so einfach zu vergleichen war das alles auch wieder nicht. Denn jeder Sachbearbeiter hatte da so seine eigene Strategie, aus welchen Bausteinen er diese Finanzierung zusammenstellen würde. Es waren die berühmten Äpfel und Birnen, die miteinander verglichen werden sollten, es aber eigentlich nicht konnten. Entscheidungsfreude war das Gebot der Stunde. Und das war so gar nicht unser Ding. Aber irgendwie musste die Kuh vom Eis, damit der Hase irgendwann in seinen Bau können würde. Da mir aber klar war, dass ich zukünftig auch für den gesamten Bau verantwortlich sein würde und da wahrscheinlich täglich irgendwelche Entscheidungen treffen müsste, nahm ich all meinen Mut zusammen und stellte mich auf die Zehenspitzen, um etwas größer und eindrucksvoller zu wirken und sagte: „Hase, wir nehmen die Bank hier aus Bötersen.“
Natürlich hatte der Hase genau den gleichen Gedanken und ihn auch geäußert, aber ich wollte mir die Illusion erhalten, dass ich auch ein bisschen kompetent sein könnte. Also gingen wir zum Geldinstitut unseres Vertrauens, das damals doch tatsächlich eine Filiale hier in Bötersen hatte, und machten die ersten Verträge. Dafür mussten wir Unterschriften leisten. Viele Unterschriften. Genaugenommen waren es sehr viele Unterschriften. Es waren so viele Unterschriften, dass ich am Ende des Unterschreibmarathons beinahe eine Sehnenscheidenentzündung hatte. Und mit jeder geleisteten Unterschrift wurde uns mehr bewusst, was wir hier gerade machten und welche Dimensionen von nun an in unser Leben treten würden. Wir waren noch nie große Kreditnehmer und würden es auch nie werden. Alles was wir besaßen, hatten wir so weit es möglich war, ohne Kredite finanziert. Beim Autokauf mussten wir einmal einen aufnehmen. Dessen Summe war aber, im Vergleich zum Snickers, ein lächerlicher Tropfen im Ozean.
Dem Hasen wurde in Anbetracht der horrenden Zahlen ein bisschen schwummrig. „Ach Hase“, sagte ich, “ ist doch gar nicht so schlimm. In dreißig Jahren haben wir das abbezahlt und dann wird gelebt und auf die Kacke gehauen.“ Aber wer möchte schon darüber nachdenken, auf die Kacke zu hauen, wenn er gerade die Hosen voll hat. Und ja, ich hatte sie auch ein bisschen voll. Nicht nur wegen des Kredits und der 30 Jahre, die wir ihn abbezahlen würden, sondern auch, weil nun ein Projekt vor mir stand, dessen Umfang mich an alle möglichen Grenzen und auch weit darüber bringen würde. Ein Haus in Eigenleistung bauen, das hieß, dass man ungefähr ein Jahr lang auf Feierabend, Wochenende, Urlaub und Freizeit verzichten musste. Das hieß immer den Hut der Verantwortung aufzuhaben. Alle Fragen und Probleme rund um den Bau würden bei mir landen und ich müsste dann sagen, was zu tun ist.
Ich brauchte erstmal ein Bier. Der erste wichtige Schritt war getan. Wir hatten unsere Seelen verkauft. Und mit einer Mischung aus Vorfreude und nackter Panik, hätte ich wahlweise sofort mit dem Bau beginnen, oder aber mich sofort aus dem Staub machen können. Aber bevor die Baumaßnahmen weiter verfolgt werden konnten, mussten wir noch eine Kleinigkeit erledigen. Wir mussten komischerweise erst das Grundstück kaufen, bevor wir da die Bagger anrücken lassen könnten. Wer hätte das gedacht.