Man kennt das Gefühl: Irgendjemand ruft an und hat eine Botschaft, die man nicht unbedingt hören möchte, weswegen man am liebsten hinter den nächstbesten Busch springen, sich die Hände vor die Augen halten und sagen möchte: „Ich bin nicht da!“ Nun war ich in diesem Fall nicht der Adressat, sondern der Überbringer der Botschaft. Und das alles nur, weil unsere Vermieter sich trennten und ein Haus verkaufen mussten, um die finanziellen Dinge zu regeln. Lustigerweise hatten sie zwei beinahe identische Häuser, die sie vermietet hatten. In dem einen wohnten wir und das andere, zweieinhalb Straßen von unserem entfernt, stand leer. Weswegen die reine Logik natürlich sagte, dass das leere Haus verkauft werden sollte. Aber dafür gab es keinen Interessenten. Für „unser“ Haus hingegen, fand sich allerdings eine kaufwillige Familie. Warum auch immer diese Konstellation sich durchsetzte, unser Haus wurde verkauft und wir konnten zum gleichen Mietpreis in das andere, jüngere Haus ziehen.
Was einigermaßen fair und erleichternd für uns war, schließlich standen wir nicht auf der Straße. Aber es blieb schon eine gewisse Mulmigkeit, weil man sich von nun an Dinge fragte, wie: Was wäre wenn sie nur ein Haus gehabt hätten? Was passiert, wenn die finanziellen Dinge auch den Verkauf des zweiten Hauses erfordern würden? So nett unsere Vermieter auch waren, aber richtig beruhigend war die Situation für uns nicht. Wer weiß, was ein neuer Besitzer mit dem Haus vor hätte. Einmal ein bisschen Eigenbedarf angemeldet und schwupp, wären wir draußen aus unserem Paradies. Eigentlich war man als Mieter irgendwie auch ein bisschen schutzlos. Ich glaube das war der Zeitpunkt, an dem in meinem Hinterkopf der ernsthafte Gedanke entstand, dass wir irgendwann einmal ein eigenes Haus bauen würden. Nur hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie wir das jemals finanzieren könnten. Es würde teuer werden. Schrecklich teuer und wir würden über Summen reden, die für uns astronomisch wären. Und bei allem musste man bedenken, dass wir auch noch von irgendwas leben müssten, wenn wir so einen unfassbar großen Kredit abzahlen müssten. Nee, wenn wir ehrlich zu uns waren, dann war ein eigenes Haus ein Schloss. Ein Luftschloss um genau zu sein
Doch zurück zum telefonischen Überbringen der „guten“ Neuigkeiten. Ein Umzug war unumgänglich und stand vor der Tür. Gleich neben Weihnachten, denn es war fast Dezember. Es war ja nicht gerade das erste Mal, dass wir umziehen mussten, deshalb wollte ich sensibel vorgehen und nicht gleich mit der Tür ist Haus fallen. Also rief ich so ziemlich jeden direkten Verwandten an, der in der Lage war, eine Unmenge an Möbelstücken zu bewegen. Und ja, es waren wirklich viele Möbel. Sehr viele Möbel, denn wir hatten uns als Familie noch ein bisschen vergrößert und mit unserem Sohn ein weiteres Kind in die Welt gesetzt. Beide Kinder waren noch zu jung, um wirklich helfen zu können, hatten dafür aber auch nicht unerheblich zu unserer Möbelanzahl beigetragen. Also mussten die lieben Brüder, Schwestern und deren eventuell vorhandene Ehepartner rekrutiert werden. Deshalb die Telefonate.
Sowas machte man immer noch mit Festnetz. Also rief ich an und versuchte so lange wie möglich um den heißen Brei zu reden: „Ja hallo, ich bins…..lange nix mehr voneinander gehört…..ja, das muss sich echt mal bessern… wir sollten uns wirklich mal öfter sehen…ich hätte da die passende Gelegenheit…“ An dieser Stelle konnte ich beinahe hören, wie man am anderen Ende der Leitung nach einem Busch suchte, hinter den man hätte springen können. Und noch bevor ich auch nur ansatzweise darüber reden konnte, dass ich die Idee hätte, einen gemeinsamen Tag mit sportlicher Betätigung und ein paar netten Getränken verbinden zu können, wurde ich sofort unterbrochen: „Na, erzähl, wohin wollt Ihr denn jetzt schon wieder umziehen?“ Umziehen? Wer? Wir? Das hatte ich mit keiner Silbe erwähnt. Warum nur immer dieses Misstrauen. Konnte ich nicht einfach mal anrufen, um zu fragen, wie es so geht und dergleichen? Musste da immer ein Umzug hinter stecken? Anscheinend war es nicht ganz abwegig.
Und so kam es, dass wir unser Nomadendasein um eine weitere Station erweiterten. Und dass obwohl wir wirklich sehr gerne und sehr gut in „unserem“ Haus lebten. Die gute Nachricht war, dass wir ja nicht weit wegziehen müssten. Die Kneipe war zwar nicht mehr auf en ersten Blick sichtbar, aber erreichbar war sie trotzdem noch mühelos. Allerdings muss ich gestehen, dass ich, von Veranstaltungen, wie Fastnachtsball usw. mal abgesehen, nie in der Kneipe war, um mal ein Bier zu trinken.
Die vielen, lieben Helfer kamen, um sich der vielen Möbel anzunehmen, Und mussten wir beim ersten Umzug noch eine Vorstellungsrunde vornehmen: „Helfer, das sind die Möbel, Möbel, das sind die Helfer!“, hatten diesmal unsere anpackenden Verwandten beinahe schon persönliche Verhältnisse zu „ihren“ Möbelstücken“ und es kam zu rührenden Wiedersehensszenen. („Er ist mein. Mein Schrank, mein Schatz!“). Aufgrund der kurzen Strecke verbrachten wir wesentlich mehr Zeit damit, die Möbel in den Transporter ein- und dann wieder aus ihm auszuladen, als dass wir unterwegs waren. Im Gedächtnis geblieben ist mir unsere scheinbar schwebende Wäschespinne, die in ihrer Funktionsweise eingeschränkt war und sich nicht mehr zusammenklappen ließ. Da sie so zu breit für den Transporter war, trug sie mein jüngerer Bruder zur neuen Wohnung und wenn er hinter einer hohen Hecke ging, dann sah es aus, als würde sie schweben. Warum konnten das nicht auch die Waschmaschine oder die große Vitrine aus dem Wohnzimmer.
Unser Helfertrupp war nicht nur ein einfacher Helfertrupp. Jeder von ihnen schien viel Ahnung von vielen Dingen wie Sanitärtechnik oder Elektrik zu haben. Weswegen ich mir auch nicht die meisten Sorgen darum machen musste, ob und wie irgendwelche Geräte angeschlossen werden mussten. Wir hätten alle zusammen ein prima Umzugsunternehmen abgegeben. Jedenfalls ging das alles sehr schnell über die Bühne und als der Zeitpunkt gekommen war, dass nur noch Reste in der alten Wohnung standen, war ich großzügig und verkündete Feierabend. Das Bisschen, was da noch stand, würden wir schon alleine hinkriegen. Wie oft würden wir schon fahren müssen, für die paar Krümel.
Sehr oft, um genau zu sein. Denn eine der unveränderlichen Tatsachen eines Umzuges ist, dass er erst vorbei ist, wenn er vorbei ist. Und dass Kleinigkeiten ein Eigenleben führen und nachwachsen können. Man sieht in einen Raum, erkennt ein paar Kartons und nimmt sie und lädt sie auf den Transporter. Ein Blick danach ins Zimmer und es stehen noch immer genauso viele von ihnen da. Es ist, als wäre die hinterhältige Variante der Heinzelmännchen am Start und würde immer wieder nachlegen. Und dazu kommt noch jede Menge Kleinkram. Und wenn der Transporter voll ist, ist das Zimmer immer noch nicht leer. Es ist magisch. Aber auf eine dunkle Art und Weise.
Dabei waren wir eigentlich so gut vorbereitet, dachten wir zumindest. Tagelang hatten wir uns dem Kampf hingegeben, alles so weit zu sortieren, dass es verpackt und abfuhrbereit wäre. Bis auf den Kleinkram halt. Genau diesen Kleinkram, der uns jetzt so zu schaffen machte. Doch dann war es irgendwann so weit. Das Haus war leer. In keinem Raum befand sich noch irgendetwas von uns. Dafür war das neue Haus aber doppelt so voll. Wie zum Geier hatte all der Kram bloß vorher in ein Haus gepasst? Oder haben wir versehentlich noch den Nachbarn mit ausgeräumt? Ich war sprachlos. Aber bevor wir uns daran machen konnten, das Chaos zu beseitigen, mussten wir noch einmal zum alten Haus, ein paar Dinge aus dem Gartengeräteschuppen holen. dann wären wir endlich wirklich fertig. Also fuhren wir nochmal hin…..und nochmal…..und nochmal……und nochmal usw. Wir hätten Gleise verlegen sollen.
Das neue Haus war perfekt und unsere Küche musste abermals umgebaut angebaut werden. So nebenbei war ich auch schon Küchenbauer geworden. Kein sehr guter vielleicht, aber für den Eigenbedarf reichte es. Wir wohnten danach auch wirklich gut in dem anderen Haus und knüpften Kontakte zur erweiterten Nachbarschaft. Wieder einmal hatten wir einen Mittelpunkt für unser Leben gefunden und es ging uns eigentlich sehr gut. Aber der Gedanke, dass wir im Fall der Fälle nur einen beschränkten Einfluss darauf haben würde, dass unser Mittelpunkt auch unser Mittelpunkt bleiben kann, ließ uns nicht los. Immer wieder kursierten bei uns Gedanken darüber, dass wir hier auch wieder wegmüssten, wenn es mal eng werden würde. Wir wollten im Innersten nicht mehr diese Abhängigkeit von anderen Leuten. Das eigene Haus, wäre die Lösung für alles. Und auch wenn uns die fraglichen Summen bis ins Mark erschreckten, suchten wir immer wieder nach einer Möglichkeit, wie man das alles finanzieren könnte.
Mit ehrlicher Arbeit würde das wohl nicht reichen. Wir hatten nicht viel Gespartes und auch keine reiche Erbtante aus Amerika oder dergleichen. Es war, als wollte man mit einem Eimer Wasser die Wüste fruchtbar machen. Vielleicht sollte ich meinen Körper verkaufen. Oder wir würden die Kinder arbeiten lassen. Aber die Kinder waren noch zu jung und mein Körper schon irgendwie zu alt. Aber wie viele andere Leute hatten es auch schon geschafft? Waren wir nur zu mutlos? Oder aber waren wir vernünftig genug, um zu erkennen, dass wir uns bei dem Ganzen auch in den Ruin treiben könnten? Man weiß es nicht…..