Dass unser erstes Domizil auch nicht unser Letztes sein würde, das hatten wir damals schon ziemlich sicher gewusst. Wir mussten ja irgendwie starten. Dass wir allerdings nach gut einem Jahr wieder ausziehen würden, das hat uns sogar selbst überrascht. Und alle unsere Helfer (sämtlich aus dem Kreis unser beider Familien), ahnten so langsam, dass sie vielleicht doch lieber nicht mit uns verwandt sein sollten. Unsere Helfer hatten zu manch einem Möbelstück schon ein persönliches Verhältnis. Und auch wenn wir sehr gut wohnten, lockte doch die Möglichkeit sich weiter auszubreiten. Wir konnten die untere Etage eines Wohnhauses mieten. Größer, ein Zimmer mehr, größerer Flur und vor allem ein Ausgang in den Garten und ein Stellplatz in einem Carport. Mehr Luxus ging nun wirklich nicht.
Die Küche war recht groß, besaß aber leider keine Einbauküche. Die mussten wir uns nun kaufen. Eine erste eigene Küche. Gemeinsam. Nur für uns. Sowas verbindet. Als wir uns einst kennenlernten, war uns für eine lange Zeit nicht so richtig klar, ob wir auch wirklich zusammen waren. Wir wurden oft gefragt, hatten aber nie eine wirklich richtige Antwort drauf. Jetzt allerdings, in unserer zweiten gemeinsamen Wohnung, mit unserer ersten gemeinsamen Einbauküche, waren wir geneigt, unseren Beziehungsstatus mit :“Ja, ich glaube wir gehen jetzt miteinander“, mit einer deutlichen Tendenz für ein gemeinsames Leben zu beschreiben. Weitere unumstößliche Indizien waren unsere Hochzeit und die Geburt unseres ersten Kindes, unserer Tochter. Das alles geschah in der Zeit, in der wir in unserer zweiten Wohnung lebten. Wobei sich dadurch auch zwangsläufig unser Mobiliar enorm vergrößerte. Neben der Küche, gab es nun auch einen Küchentisch mit vier Stühlen und einem Kinderhochstuhl. Ein langbeiniges Konstrukt, in dem wir unsere Tochter für anstehende Mahlzeiten setzten und dabei regelmäßig daran verzweifelten, ihr den Brei, oder was auch immer sie essen sollte, in den Mund zu bugsieren. Gewordene Eltern werden dieses Problem kennen. Außerdem im neuen Programm ein komplett eingerichtetes Kinderzimmer, ein Gartentisch und ein paar Gartenstühle.
Für ein Leben zu dritt war unsere Wohnung vollkommen ausreichend. Die Wohnung war auch recht schön und unsere ersten Gehversuche einen kleinen Garten anzulegen waren noch verhalten und stümperhaft. Eigentlich aber, war es schon eine ziemliche Idylle. Eigentlich, denn wir bewohnten dieses Haus nicht alleine. Ein junges Paar bewohnte das Obergeschoss. Die waren eigentlich ganz nett, aber die Gegebenheiten führten auch immer wieder zu Spannungen. Großen Anteil daran hatte die Hellhörigkeit im Gebäude. Während wir manchmal dachten, über uns würde eine Herde wilder Pferde durch die Wohnung traben, konnten unsere Obennachbarn bestimmt häufiger live dazugeschaltet hören, wie unsere Tochter nicht schlafen konnte und diesen Umstand gerne auch mal durch lautes Babygeschrei signalisierte. Gewordene Eltern werden das auch kennen. Man muss das jetzt nicht bis ins Detail darstellen, aber richtig glücklich waren wir alle nicht.
Dies und der Umstand, dass wir mit dem Gedanken spielten, unsere Anzahl an Kindern noch verdoppeln zu wollen, führte letzten Endes dazu, dass wir wieder aktiv auf dem Wohnungsmarkt die Suche nach einer neuen Bleibe eröffneten. Die Parameter dafür waren, dass wir erstens mindestens ein Zimmer mehr brauchten und wenn möglich auch gerne alleine wohnen wollten. Garten wäre schön und natürlich in Sottrum als Wohnort. Ich war eine alte Eiche, die man nicht verpflanzen konnte. Das Internet befand sich noch in den Kinderschuhen und wir hatten noch keinen Computer, um es zu nutzen. Wer zum Geier braucht schon einen Computer? Also wälzten wir Zeitungsanzeigen, oder sperrten unsere Ohren auf. Irgendwie war es ja auch möglich, dass irgendwer irgendwen kannte, und man so an irgendeine Wohnung kommen könnte.
Die erste große Hürde war, dass es schweineteuer war, in Sottrum größer wohnen zu wollen. Und es gab auch nicht viele Angebote auf dem Markt. Eine große Obergeschosswohnung wäre eine Option gewesen. Ein Kompromiss, weil wir nicht allein im Haus wohnen würden (eine Partei war unter uns) und weil wir keinen direkten Zugang zum Garten hätten. Der Garten war groß und wir hätten einen Teil nutzen können, aber dafür jedesmal die Treppe runter und wieder hoch, war auch irgendwie blöde. Die Lage war eigentlich ganz gut und die Wohnung zwar nicht neu, aber in gutem Zustand. Aber als die Vermieterin sagte, dass sie ein Zimmer noch für sich behalten wollte, um dort ein paar Sachen zu lagern und eventuell auch mal selbst in dieses Zimmer zu gehen, war die Wohnung raus. Die Vermieterin konnte das nicht nachvollziehen, aber wir waren uns einig.
Ein zweites Exponat war eine Doppelhaushälfte in der Nähe des Freibads. Noch nicht zu alt, aber auch nicht ganz neu. Aber auch nicht wirklich günstig. Aber da sonst alles passte und wir diese Hälfte alleine bewohnen könnten, wollten wir uns das Ganze zumindest mal ansehen. Zusammen mit einem Makler und jemandem von der Bank, der das Objekt gehörte, hatten wir einen Ortstermin. Die Doppelhaushälfte machte von außen einen gut gepflegten Eindruck, hatte aber den Nachteil, dass es nicht unsere potentielle Hälfte war. Die wiederum sah von außen schonmal gar nicht gut aus. Alles wuchs lieblos ineinander und man wurde das Gefühl nicht los, von den merkwürdig ungepflegten Pflanzen beobachtet zu werden. So als wollen sie uns bei nächstbester Gelegenheit aufessen. Ein Rasenmäher schien es seit Monaten nicht mehr auf die Grünfläche geschafft zu haben.
Da ich von meinen Oldenburger Zeiten mit dem Leben am Rande des Randes der Gesellschaft vertraut war, hatte ich erstens dunkle Vorahnungen, wie die Wohnung von innen aussehen würde und mir war klar, dass mich so leicht nicht viel erschüttern könnte. Es war finster in dieser Doppelhaushälfte, was einerseits am Mobiliar und andererseits an den Fenstern lag, die nicht viel Tageslicht durchließen. Was wahrscheinlich auch daran lag, dass sie seit Jahren nicht mehr geputzt wurden. In wirklich jedem Zimmer waren unzählige Stapel mit Akten, Ordnern, Papieren und anderem Papierkram. Ein Messi wohnte hier offensichtlich und ich meine nicht diesen berühmten Fußballer, der damals noch kein berühmter Fußballer war. „Hier wohnt ein Berufsschullehrer“, sagte der Mensch von der Bank und erwähnte noch nebenbei, dass der Mieter seit einigen Wochen nicht mehr im Hause war. Was natürlich die Frage aufwarf, wer sich denn um die Katzen kümmerte, die hier überall herumliefen.
Wir gingen die Treppe hoch und eine der Holzstufen war locker und wir hatten Sorge, hier nicht heile nach oben zu kommen. „Die wird selbstverständlich noch in Ordnung gebracht“, sagte der Makler. Hätte ich auch irgendwie erwartet. Der Mann von der Bank und der Makler überboten sich damit, sich laufend zu entschuldigen und mantraartig immer wieder zu sagen, dass irgendwas selbstverständlich in Ordnung gebracht oder aufgeräumt würde. Und die Katzen würden dann ebenso selbstverständlich aus der Wohnung entfernt. Es sei denn, wir bestünden darauf sie zu behalten. Erste Trendmeldungen ergaben, dass wir keinen Wert auf Katzen legten.
Die Wohnung war nicht billig. Im Vergleich zu unserer Bleibe im Untergeschoss war sie sogar sündhaft teuer und ich stellte mir ein paar Fragen. War das jetzt in Ordnung, dass wir in die Wohnung gegangen sind, ohne den Mieter dabei zu haben oder zumindest um Erlaubnis zu bitten? Wenn man diese Wohnung an den Mann, den Hasen bringen möchte, warum räumt man nicht mal vorher ein bisschen auf oder befestigt mal ne Holzstufe, bevor da jemand zu Fall kommen könnte? Für den Makler und den Mann von der Bank war das Ganze hier ein Alptraum. Hinter jeder Zimmertür lauerte eine neue unschöne Überraschung und einige neue Papierstapel. Keine Ahnung was das so alles war, aber wenn irgendwelche Schüler von dem Lehrer, der hier wohnte, seit Jahren auf korrigierte Arbeiten warteten, ich hätte da so eine Idee, wo man sie finden könnte. Insgesamt waren etwa 30 bis 60 Stapel in der Wohnung. So genau konnte man es nicht beziffern. Vielleicht waren es auch doppelt so viele. Ich habe das in der Form bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen gehabt.
Mit einem Blick in die Küche beendeten wir diese Besichtigung und ich fühlte mich ein bisschen an alte Oldenburger Zeiten erinnert. Der Hase und die beiden Verkaufstalente gingen nach draußen, nachdem wir feststellten, dass diese Küche auch nicht schön war. Ich verweilte noch ein bisschen dort und versuchte mir vorzustellen, wie man aus dieser Wohnung vielleicht doch etwas Schönes generieren könnte. Versonnen öffnete ich den Kühlschrank. In welchem sich ein paar Sachen befanden. Unter anderem Katzenfutter. Ein paar Dosen, von denen zwei geöffnet waren und an der Rückwand im Kühlschrank klebte irgendwas, das ich nicht erkennen konnte. Mir hallten noch die Worte durch den Kopf, dass der Lehrer, der hier wohnte, seit ein paar Wochen nicht mehr in der Wohnung gewesen war. Und dann die offenen Dosen. Mir schwante Böses, denn wenn nicht gerade die Katzen hier am Gange waren, dann standen die Dinger schon seit Wochen offen. Hmpf….
Ich schloss die Kühlschranktür und der dadurch entstehende Luftdruck ließ ein bisschen gegorene Luft aus dem Inneren nach außen entweichen. Ein säuerlicher Windstoß schoss mir entgegen und ich beging den Fehler, in diesem Moment einzuatmen. Ich bin wirklich nicht sehr empfindlich mit vielen Dingen und meine Nase hatte schon einiges an Gerüchen ertragen, ohne dass es mich jetzt wirklich umgehauen hätte. Aber gammelige Sachen sind immer so eine Hausnummer für sich. Außerdem habe ich dann immer Kopfkino. Es reicht schon der Gedanke an die Sachen die dort gammeln und mein Würgereiz wird aktiv. In dem Moment damals kam mir so ziemlich die Galle hoch und ich stürmte ins Freie und würgte lautstark und meine Augen tränten. Ich konnte mich gerade noch zusammenreißen und kotzte nicht auf den Boden. Was auch gut war, denn der Hase und der Makler und der Bankmann standen dort im Halbkreis und blickten mich verwundert an. Es herrschte für einen Augenblick ein betretenes Schweigen. Warum nur?
Wir versprachen über alles nachzudenken und uns noch zu melden. Obwohl es eigentlich jedem klar war, dass wir hier bestimmt nicht einziehen würden. Wir waren ratlos. Es schien nichts für uns verfügbar zu sein. Bis eines Tages mein Hase eine Anzeige in der Zeitung entdeckte, für ein ganzes Haus, allein zu bewohnen mit einem riesigen Grundstück und zu einem Preis der deutlich unter dem lag, was das gammelige Doppelhaus kosten sollte. Einziger Wermutstropfen, das Haus stand nicht in Sottrum. Genaugenommen war es in Bötersen. Bötersen ist rund 7 km von Sottrum entfernt und ich war dort schon ein paarmal durchgefahren. Und irgendwann war ich mal auf einem Schützenfest oder so dort, hatte aber keine bleibende Erinnerungen daran.
Wie gesagt, damals war es mit dem Internet noch nicht weit her und so konnte man auch nicht online ein paar Dutzend Bilder von dem Haus ansehen. Also wussten wir nicht, wie das Haus aussieht und wie die Lage ist und so weiter. Es passte jedenfalls alles zusammen mit unseren Wünschen. Nur die Frage, ob ich mich entwurzeln wollte und wirklich in ein anderes Dorf ziehen würde, blieb knifflig.