Das Studium in Oldenburg war gescheitert und beendet. Und das Experiment „Unschöner Wohnen zwischen Schwindsucht und Hakenkreuz“ war zu einer Erfahrung in meinem Leben geworden. Keiner sehr schönen zwar, aber einer sehr wichtigen Erfahrung. Auch wenn dort beim Komfort, Hygiene und in vielen anderen Dingen noch recht viel Luft nach oben gewesen ist, war es immerhin das, was einem Leben allein, auf sich selbst gestellt, doch so einigermaßen nahe kam. Natürlich war ich in einigen Dingen gescheitert und gerade mein Hang zur Unordnung ging mit dieser Kammer des Schreckens eine unheilige Allianz ein. Aber ich lernte wie es ist, für sich selbst einzukaufen und machte meine ersten Versuche im Kochen. Unvergessen bleibt dabei mein allererstes selbst gebackenes Rührei. Eine fragwürdige Mischung aus zu viel Milch im Eigemisch und einer eklatant zu hoch gewählten Temperatur. Mein allererstes Rührei brachte deswegen das Kunststück fertig, einerseits noch reichlich flüssig und andererseits schon heftig angebrannt zu sein. Überraschenderweise schmeckte es überhaupt nicht, was vielleicht auch daran lag, dass ich noch nicht ganz das rechte Maß für die Würzung gefunden hatte.
Der Punkt ist allerdings nicht, dass ich so ziemlich viel versemmelte, sondern der, dass ich den Drang verspürte, es beim nächsten mal besser zu machen. Na gut, richtig ordentlich ist es deswegen dort nie geworden, aber meine Rühreier wurden besser im Laufe der Zeit und ich machte die Erfahrung, dass man eine Herdplatte durchaus auch auf andere Stufen als „volle Pulle“ einstellen konnte. Insofern war es auch im Nachhinein gut, dass ich mal raus in die weite Welt gekommen war. Von schöner Welt war ja nie die Rede.
Aber es kam also der Tag, an dem ich zum letzten Mal dieses Verlies verließ. Ein Stein fiel mir vom Herzen und ich hatte den Eindruck, dass der Himmel, der all die Zeit grau und unfreundlich schien, mit einem Mal strahlend blau und sonnig war. Ich freute mich darauf wieder zurück zu kommen, aber es war irgendwie anders. Der Geist war aus der Flasche, der Senf aus der Tube, die Milch aus der Kuh und nichts davon ging wieder zurück. Meine Welt war nun eine andere und ich wollte den Schwung, den ich durch mein Wohnabenteuer bekam, nutzen und recht schnell mit dem Hasen zusammenziehen. Jedenfalls sagte der Hase, dass ich es wollte. Hin und wieder brauchte ich mal so einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Doch ganz ehrlich gesagt, war ich bei diesem Thema auch alleine schon so weit. Ich war bereit für die nächste bahnbrechende Erfahrung in Sachen Selbstbestimmung. Die erste richtige gemeinsame Wohnung musste her.
Nicht dass des Hasens Einzimmerapartement jetzt nicht schön gewesen wäre, aber für zwei Personen war es einfach zu eng. Das größte Manko war, dass es kein extra Schlafzimmer gab und wir deswegen immer ein Schlafsofa nutzten. Ja, genau wie ich in Oldenburg, nur viel schöner, sauberer und mit wesentlich weniger Ungeziefer im Polster. Ein paar Millionen Milben hat ja jeder. Was allerdings in meinem Oldenburger Domizil so lauerte, weiß ich nicht und möchte es auch nie wissen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn dort einige neue Insektenarten gezüchtet worden wären. Aber auch dieses schöne Schlafsofa beim Hasen musste eingeklappt werden, wenn Besuch kam. Und da man hier nicht vor Betreten den Kammerjäger durchschicken musste, kamen auch häufiger Leute zu Besuch, als es in Oldenburg je der Fall gewesen ist. Was dazu führte, dass wir das blöde Sofa eigentlich pausenlos auf- und einklappten. Das klappte zwar prima, ging uns aber irgendwann ziemlich auf die Nerven.
Dies und einige andere Gründe führten zu der Notwendigkeit, eine neue Wohnung zu suchen; meine erste wirkliche Wohnung, wenn man so will. Und dann noch mit dem Hasen zusammen. Es war eine magische Grenze, die wir überschreiten würden. Zusammenziehen, das war für mich eigentlich schon das halbe Ehegelübde. Das war das echte Leben und ich stand an der Schwelle zum richtig echten Erwachsenwerden. Wurde vielleicht auch mal langsam Zeit dafür. Auch wenn ich es eigentlich nicht ganz so eilig damit hatte. Aber bis heute habe ich ein paar Regionen in mir, die diesen Vorgang noch nicht abgeschlossen haben und ich hoffe, dass es auch so bleibt. Das Kind im Manne, wenn man so will.
Die erste wichtige Grundsatzfrage, die wir klären mussten war, wo würden wir wohnen wollen. Mein Elternhaus befand sich in Sottrum und der Hase wohnte in Rotenburg. Für die Ortsunkundigen sei erwähnt, dass dazwischen rund 13km Fahrtstrecke lagen. Und ebenso wie der Hase arbeitete ich damals in Rotenburg. Daher zogen wir natürlich nach…..Sottrum. Klingt etwas unlogisch, ich weiß und der Hase ist und war ein Stadtmensch. Zumindest auf dem Kleinstadtsektor. Das Wohnen in einer Kleinstadt war ihr nicht fremd und sie fühlte sich auch wohl. Ich hingegen war, von meinem Oldenburger Abenteuer mal abgesehen, schon immer ein absolutes Landei und mir war damals schon klar, dass ich es auch immer bleiben würde. Sottrum war damals schon ein großes Dorf, aber noch lange nicht so groß und unpersönlich wie es heute ist. Ich bin dort geboren und aufgewachsen und meine Familie und mein Freundeskreis und all meine Wurzeln waren hier. Erstaunlicherweise konnte ich mich durchsetzen und wir suchten uns in Sottrum eine Wohnung.
Was damals noch nicht so richtig schwierig war. In der Größe, wie wir sie bevorzugen würden, gab es durchaus einige Exemplare und nach kurzer Suche, wurden wir fündig. Was vielleicht auch ein bisschen daran lag, dass unser Vermieter der Sohn des Standesbeamten war, der einst meine Eltern in den Stand der Ehe geführt hatte. Unser erstes gemeinsames Nest war eine Zweizimmerwohnung, die in einem ehemaligen Stallgebäude einer aufgegebenen Landwirtschaft untergebracht war. Das klingt vielleicht ein bisschen nach herumstehenden Futtertrögen und dem unwiderstehlichen Geruch von Kühen. So war es aber nicht. Es roch nach Schwein. Was natürlich ein Scherz ist, denn es war alles sehr schön umgebaut worden und erinnerte in keinster Weise daran, wer oder was hier vorher beherbergt wurde.
Das erste wirklich aufregende Merkmal dieser Wohnung war, dass sie einen Flur hatte. Einen echten Flur in der Wohnung. Und von dem aus gingen die Türen zu den verschiedenen Räumen ab. Und hinter keiner dieser Türen verbarg sich eine Tuberkulose Notfallstation oder die wiederbelebte Parteizentrale der NSDAP. Flur? Räume? In der Wohnung mit drin? Wie groß doch alles mit einem Mal war. Wie sollten wir das nur alles je mit Möbeln und anderem Inventar füllen? Ich hatte das Gefühl, dass diese Wohnung für die nächsten zehn Jahre vollkommen genügen würde.
Auch wenn es schon viele Jahre her ist, dass wir dort einzogen, kann ich mich noch an viele Details erinnern. An das recht große Wohnzimmer, die recht große Küche, den kleinen Abstellraum und dann das Schlafzimmer. Es gab auch ein Bad, an das ich mich komischerweise überhaupt nicht erinnern kann. Obwohl ich eigentlich davon ausgehe, es benutzt zu haben. Aber so ist das mit dem Gedächtnis. Die Küche hatte eine Küchenzeile, die eigentlich ganz ansprechend war, bis auf den Backofen. Der sah so aus, als hätte der Vormieter da ein paar alte Autoreifen drin verbrannt. Nur unter Einsatz von grober Mechanik und der Mithilfe einiger bedenklicher Reinigungsmittel konnte der Hase dort einen ansprechenden Istzustand herstellen.
Der Umzug in unser erstes gemeinsames Domizil war eine recht niedliche Angelegenheit. An Mobiliar steuerte ich im Wesentlichen das Bett dabei. Und natürlich die Stereoanlage. Der Rest von mir passte in zweieinhalb Kartons. Die Sachen des Hasen waren zwar wesentlich umfangreicher, aber in einem mittelgroßen Transporter und zwei PKW konnte man alles unterbringen. Das war die Phase, in der ich dachte, Umzüge machen grundsätzlich Spaß. Und aus unseren jeweiligen Familien hatten wir genügend Helfer. Das Ganze war in rund einem Tag über die Bühne gebracht. Inklusive der Montage von Schränken und Regalen. Ach, was waren das noch für herrliche Zeiten.
Wir erweiterten unser Mobiliar um einen wuchtigen, schwarzen Kleiderschrank mit Schiebetüren und eine Gefriertruhe, die wir im Schlafzimmer aufstellten. Falls es dort mal zu heiß her gehen sollte, hätten wir sofort die nötige Kühlung am Start. Genaugenommen ergab sich der Standort aus der Tatsache, dass wir sonst keinen Platz in der Wohnung hatten. Für mich, der ich das Nächtigen mit einem Kühlmöbel in der Nähe des Bettes seit Oldenburg schon kannte, hatte das gleichmäßige Brummen wieder dieses beruhigende Wirkung. Für viele Leute war es eher etwas befremdlich, so zu wohnen.
Die großen Vorteile unserer ersten gemeinsamen Wohnung waren, neben einer beinahe absoluten Schalldichtheit (diese konnte in einer Reihe von Versuchsanordnungen mit möglichst lauter Musik bestätigt werden. Es gab keine Beschwerden aus den Nachbarwohnungen und auch keine baulichen Folgeschäden), die gute Lage im Ort und die Größe. Wir wohnten nun in ungefähr der doppelten Fläche im Vergleich zur Hasenwohnung und rund fünfmal so groß wie in dem Rattenloch in Oldenburg. Der große Nachteil war, dass es keinen direkten Weg nach draußen in den Garten gab. Man konnte da zwar hin, musste dafür aber einmal um das Haus laufen und das machten wir nicht einmal in der Zeit, die wir dort verbrachten. Eingezogen waren wir Ende 1993 und ich hatte die Erwartungshaltung, dass wir hier bis zum Jahrtausendwechsel bleiben könnten. Und so wohnten wir hier ruhig und friedlich für so ziemlich genau ein Jahr.