Das Hasenhüttl…..Teil 1: Lebst Du noch, oder wohnst Du schon?

Wenn man mal ehrlich ist, habe ich ein ziemlich privilegiertes Leben. Ich habe einen Hasen, zwei Hasenkinder, einen Job, alles Mögliche und nicht zuletzt auch ein Haus. Ein eigenes Haus, das natürlich auch dem Hasen gehört. Wahrscheinlich müsste es dann ein zweigenes Haus sein. Und ich muss sagen, dass dieses Haus einer meiner größeren Träume gewesen ist und es lange Zeit nicht so aussah, als ob er sich erfüllen würde. Um das Ganze vielleicht richtig verstehen zu können, müsste ich mal tief in die Vergangenheitskiste greifen. Also, fasten the seatbelts und lean ein bisschen zurück, wir reisen jetzt in der Zeit zurück.

Als der Hase und ich uns kennenlernten, wohnte ich noch bei meinen Eltern. Ich war beinahe 25 und noch bei Mutti wohnen, war vielleicht jetzt nicht so wirklich sexy. Aber ich hatte meine Gründe. Es war April 1992 als der Hase und ich uns kennenlernten und im Oktober würde ich an der Fachhochschule in Oldenburg ein Studium beginnen. Da machte es natürlich überhaupt keinen Sinn sich noch bis dahin eine eigene Wohnung zu suchen. Außerdem, wenn ich ganz ehrlich bin, hat es mir zu Hause immer sehr gut gefallen und meine Mutter war eine sehr gute Köchin. Ich war noch nicht bereit das hinter mir zu lassen.

Der Hase hingegen hatte die erste eigene Wohnung schon so gut wie bezogen, als wir uns kennenlernten und sie war erst 21. Das ließ mich natürlich in einem schlechten Licht erscheinen, aber ganz ohne Grund war der Hase allerdings auch noch nicht in die eigene Unabhängigkeit gekommen. Ihr Vater, der später mein Schwiegervater werden sollte, war ein ziemlich hoher Dienstgrad bei der hiesigen Polizei, was meinen Status als Schwiegersohnanwärter erschwerte. Man liest ja viel über Verhörmethoden und ich sah mich schon ,an einen Lügendetektor angeschlossen, einige knifflige Fragen beantworten müssen. Jedenfalls wurde der Hasenvater nach Lüneburg versetzt und der Plan war, dass die Familie dort hinziehen würde. Bis auf den Hasenbruder, der schon eine eigene Wohnung bewohnte. Weil mein Hase aber alles vor Ort hatte, was wichtig für sie war, Freundinnen, einen Job und dergleichen, wollte sie nicht mit nach Lüneburg umziehen. Deswegen die eigene Wohnung. Wenn sie gewusst hätte, dass sie mich zu diesem Zeitpunkt kennenlernen sollte, wäre sie vielleicht lieber nach Lüneburg dem Rest der Familie gefolgt.

Ist sie aber nicht, weswegen sie nun ihre Einzimmerwohnung bezog. Ihre Familie im Übrigen dann doch nicht, weil sich die dienstlichen Dinge des Hasenvaters anders entwickelten und er nicht dauerhaft in Lüneburg blieb. Diese erste Wohnung des Hasen jedenfalls war im vierten Stock eines sechsstöckigen Gebäudes und genau zwei Etagen über der Zahnarztpraxis, in der sie arbeitete. Einen besseren Arbeitsweg kann man wirklich nicht haben. Auch wenn es rund dreißig Jahre her ist, dass sie da wohnte, kann ich mich noch ziemlich gut daran erinnern, wie es dort aussah, in dem 34m² großen Appartement, mit einem großen Wohn/Esszimmer, einer kleinen Küchenzeile, einem noch kleineren Abstellraum hinter der Küche, einem Bad und einem Balkon. Auf dem stand ich manchmal und staunte, wie lange die Regentropfen brauchten, bis sie von hier aus, unten auf dem Boden angekommen waren. Ich hatte noch nie höher als erste Etage gewohnt und jetzt so in Stock vier, war es ein kleiner Hauch von Großstadt, der allem anhaftete.

Mein Zimmer zu Hause bei meinen Eltern war eine Katastrophe. Was nicht gerade wenig daran lag, dass ich die Sache mit dem Aufräumen und dem Ordnung halten, ich sag mal so, nicht so sehr mit verinnerlicht hatte. In der nach oben offenen Unordenlichkeitsskala war ich ganz weit oben. . Das Zimmer selbst war super, es konnte nichts dafür, wer darin wohnt. Ich hatte damals nie viel Besuch gehabt, sondern war meist bei anderen Leuten, Freunden und dergleichen zu Besuch. Kein Mensch wollte freiwillig in mein Zimmer und jetzt, mit dem nötigen Abstand und einer gewissen Reife, die man im Lauf der Zeit bekommt, kann ich das durchaus verstehen. Ich glaube ich würde mich heutzutage unter diesen Umständen nicht einmal selbst besuchen.

Eine Beschreibung meiner Unordnung erspare ich mir und demjenigen, der das hier liest, aber ich kann verraten, dass es keine leichte Zeit für meine Mutter war. Dem Hasen war das komischerweise erstaunlich egal. Ich schien irgendwelche inneren Werte zu besitzen, die sie darüber hinwegsehen ließen. So waren wir schon häufig bei mir, aber es war einfach schöner, wenn wir im Hasenbau waren. Nicht nur weil es da immer aufgeräumt und sauber war und ich immer wieder staunte, dass es doch möglich ist, irgendwo zu wohnen und dann trotzdem den Teppich sehen kann. Oder welchen Bodenbelag auch immer. Nein, es war auch immer ein Stück weit diese Unabhängigkeit, die mir so besonders gut gefallen hatte. Dieser Schritt in ein eigenes unbestimmtes Leben, den der Hase schon gegangen war und den ich eigentlich auch irgendwann mal gehen wollte. Es keimte der Gedanke auf, dass es wahrscheinlich schön wäre, wenn wir beiden zusammen mal eine eigene Wohnung haben würden.

Aber es gab ja noch das Studium in Oldenburg und Oldenburg ist rund eine dreiviertel Stunde von meiner Heimat entfernt. Und auch wenn ich die ersten Wochen immer mit dem Auto oder dem Zug pendelte, war es unerlässlich, dass ich in Oldenburg Wohnraum finden müsste. Jeder, der heutzutage studierende Kinder hat, wird wissen, dass Wohnraum in einer Studentenstadt rar gesät ist. Es ist leichter an einem weißen Sandstrand ein rotes Sandkorn zu finden, als eine akzeptable Wohnung für einen jungen Menschen, mit eingeschränktem Budget und dem Wunsch nicht im letzten Drecksloch unterkommen zu müssen. Und was soll ich sagen, es war damals auch nicht anders. Nur mit dem Unterschied, dass es noch kein Internet gab und man, mit ganz viel Glück mal einen Zettel am schwarzen Brett mit Texten wie „Suche Nachmieter“ finden konnte. An diesen Zetteln waren am unteren Rand ungefähr zwanzig Schnipsel mit der dazugehörigen Telefonnummer (Festnetz, denn Handys gab es auch noch nicht). Wer Interesse hatte, riss sich so einen Schnipsel ab und rief dann die Nummer an. In der Regel war es so, dass die Schnipsel schneller weg waren, als diese Zettel angehängt wurden. Wer unter solchen Umständen eine Wohnung bekam, hätte auch Lotto spielen können. Die Wahrscheinlichkeiten mal was Vernünftiges abzustauben waren ähnlich.

Deshalb pendelte ich eine Weile, was aber nicht besonders förderlich für mein Studium war. Man war viel unterwegs und wenn man zu Hause war, dann warteten dort die Kumpels, der Sport, diverse Biere und in erster Linie der Hase. Ein Studium besteht ja zu einem Großteil darin, dass man das, was einem an der Fachhochschule (ich war nicht an einer Uni) präsentiert wird, zu Hause für sich und seinen eigenen eingeschränkten Verstand erarbeiten muss. Wie zum Henker sollte ich das bei dem Ganzen Freizeitstress nur hinkriegen? Es nützte nichts, eine Wohnung musste her. Was aber aus den bekannten Gründen nicht gerade einfach war. Für ein Studentenwohnheim hätte man sich gut anderthalb Jahre vorher anmelden müssen. So langfristig konnte ich damals nicht denken. Aber durch Zufall erfuhr eine Bekannte von mir, die auch in Oldenburg studierte, dass eine Kommilitonin aus einem möblierten Zimmer ausziehen wollte und einen Nachmieter suchte und ich war der festen Meinung, dass ich selbstredend dieser Nachmieter sein würde. So kam es dann auch und ich freute mich. Zu früh, wie sich herausstellte, aber woher hätte ich wissen sollen, was mich erwartete.

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob ich mir die Wohnung vorab angesehen hatte, oder eben nicht. Sollte ich es aber getan haben, dann habe ich entweder keinen Wert auf die Realitäten gelegt, oder sie verdrängt. Oder vielleicht war der erste Eindruck auch gar nicht so schlimm. Aber wie dem auch sei, ich zog da ein. Es war ja auch nicht alles schlecht. Die Lage war super. Zu Fuß war man in wenigen Minuten in der Innenstadt. Mit dem Rad in wenigen Minuten bei der Hochschule und wieder zu Fuß war ich in wenigen Minuten, bei zwei Bekannten, die ich schon lange kannte und die auch in Oldenburg studierten. In direkter Nähe war eine Kneipe und ein kleines Kino, in denen eher künstlerisch angehauchte Intellektuellenfilme liefen. Nicht dass ich diese Art von Filmen mochte, oder deswegen ins Kino gegangen wäre (ich hatte es nicht immer so mit dem Intellekt und dem Künstlerischen), aber ein Kino in der Nähe haben, das war ein Argument, dem man sich nicht leicht entziehen konnte.

Die Straße, in der die Wohnung lag, war eine schöne ruhige Nebenstraße, mit schönen Häusern und kleinen Granitsteinen und rotem Pflasterklinker als Straßenbelag. Ja, es sah wirklich alles super aus. Bis auf eine heruntergekommene Werkstatt mit einer schäbigen und breiten Betonfläche als Einfahrt und einem angebauten Wohntrakt. Der Hof war recht groß und die Werkstatt lag ein bisschen nach hinten versetzt. An der Straße war noch ein Wohnhaus, das zwar etwas angenehmer vom Äußeren her war, aber im Vergleich zu den anderen Häusern in einem deutlich schlechteren Zustand gewesen ist. Und hatte ich anfangs noch die Hoffnung in einem der schöneren Häuser wohnen zu dürfen, musste ich aber sehr schnell erkennen, dass der hässliche Wohntrakt an dieser hässlichen Werkstatt mein neues Domizil werden würde. Es blieb aber noch die schwache Hoffnung, dass es außen pfui und innen hui sein könnte. Die Frage die sich letzten Endes aber stellte, war, wie die Steigerung von Pfui ist. Pfuier? Am Pfuiiesten?

Über eine dunkle, lange, gerade Treppe, die depressiv nach oben führte, gelangte man in die erste Etage. Dort in einem Flur war die Tür zu meinem Zimmer. Es war ein finsterer und gruseliger Flur, mit einigen Zimmertüren, die mit dunklem Holz furniert beidseitig zu den jeweiligen Zimmern führten. Am Ende des langen Schlauches befanden sich zwei Türen. Hinter der einen verbarg sich etwas, das den Anschein einer Toilette erweckte und noch wirklich mit einer Klobrille und einem Deckel aus Holz ausgestattet war.. Die andere Tür beherbergte eine Dusche, die zwar sauber (in einer gewissen Weise, als so sauber, dass man keine ernsthaften Erkrankungen zu befürchten hatte) war, die aber nur dann Warmwasser aus dem Duschkopf fließen ließ, wenn man draußen vor der Tür in eine Art Stromzähler 20 Pfennig einsteckte. Das reichte dann für die Reinigung der gröbsten Partien. Damals war ich noch nicht so dick. Sonst wäre es wahrscheinlich teurer geworden, dort zu duschen.

Doch im ersten Moment war es wesentlich interessanter, welche Zimmertür die meine sein würde und was sich dahinter verbergen könnte. Die Zimmernummer weiß ich nicht mehr, nur dass es mittig im Flur auf der linken Seite lag. Ein erster Blick durch die geöffnete Tür verhieß nichts Gutes. Ein Schreibtisch, der erstens alt und zweitens hässlich war, stand unter dem Fenster. Dieses war zweiflügelig und bestand pro Flügel aus einem Innen- und einem Außenfenster. Zur Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg baute man so etwas. Links in der Ecke war ein Kühlschrank, der vor kurzem noch knapp dem Sperrmüll entkommen war und sich in seinem Erscheinungsbild nahtlos in dieses etwas angegammelte Ambiente des gesamten Zimmers einreihte. Mittelpunkt des sozialen Lebens war ein Mulifunktionssofa, dass man einerseits zum Sitzen und andererseits aufgeklappt zum Liegen verwenden konnte. Das gute Stück war noch hässlicher als der Schreibtisch und, soviel war sicher, man würde hier weder gerne sitzen, noch liegen wollen.

Mittig im Zimmer war ein Tisch, an den ich keine besonderen Erinnerungen habe. An der dem Sofa gegenüberliegenden Wand befand sich ein Schrank. Einer von der Sorte, die meine Oma früher mal im Wohnzimmer hatte und der offensichtlich zusammen mit dem Kühlschrank und eigentlich auch dem Sofa nur knapp dem Sperrmüllschicksal entronnen war. Die Zeit, so schien es, war in diesem Gebäude in den frühen 50ern stehengeblieben. Die Tapeten an den Wänden waren alt und hässlich und den Boden zierte eine dunkelgraue Auslegeware auf der ein alter Teppich mit altem Muster lag. Vielleicht gab es auch Gardinen, das weiß ich so jetzt nicht mehr. Aber auf jeden Fall gab es ein Waschbecken. Darin konnte man Geschirr spülen, sich die Haare waschen, die Zähne putzen und dergleichen. Und als wenn das noch nicht genug Luxus gewesen wäre, gab es auch noch einen Zweiplattenherd, bei dem das Licht dunkler wurde, wenn man ihn einschaltete. Jeder kennt vielleicht dieses Gefühl, dass man in der Fremde so gut ankommt, dass man sich schon gleich heimisch fühlt. Genau dieses Gefühl hatte ich hier nicht und wenn mein Zimmer in meinem Elternhaus auch eine Katastrophe war, im Vergleich zu dem hier, war es das Paradies.