Wobei es bis heute nicht hinlänglich geklärt ist, welcher von beiden ich bin. Der Esel erscheint mir dabei aber wesentlich charmanter. Er klingt irgendwie potenter. Doch zurück zur aufregenden und Herzschlag hochtreibenden Anfangsphase von unserem Hausbau. Das Grundstück wollte, dass wir es kaufen. Genaugenommen wollte die Gemeinde, dass wir es kaufen. Das Baugebiet war sehr groß und bot Platz für 42 Häuser, aber zur Zeit unseres Anfangs waren noch nicht alle Bereiche erschlossen, weshalb sich die Auswahl der möglichen Parzellen schnell verringerte. Eigentlich blieb nur noch dieses eine für uns übrig, weil es als einzig Verfügbares unseren Vorstellungen am nächsten kam. Endlich mal war keine Entscheidungssuche nötig. Wenn nur eine Möglichkeit vorhanden ist, sind wir ganz groß darin, uns festzulegen.
Also bin ich hin zum Bürgermeister und habe ihm gesagt, dass wir mal ein paar Tausender zu viel hätten und uns dafür ein Stückchen Erde in der Gemeinde kaufen wollten. Ich glaube in diesem Moment war ich einer seiner Lieblingsbürger. Nun ist es ja nicht so, dass man mit zwei Koffern voller Geld zum Bürgermeister geht, dann per Handschlag den Kauf besiegelt und sich danach mit Bier und Korn zuschüttet, um diese Transaktion auch in aller Vollständigkeit zu vollziehen. Nein, es musste alles seinen offiziellen Gang gehen und es musste ein Vertrag her und wir mussten einen Grundbucheintrag bekommen und so weiter und so weiter. Und damit das alles auch in rechtlich unbedenklichen Bahnen läuft, musste der ganze Kram auch über einen Notar abgewickelt werden.
Unser Grundstück war verhältnismäßig günstig, weil die Gemeinde einen relativ niedrigen Preis pro Quadratmeter ansetzte. Aber auch verhältnismäßig günstig ergab einen solide fünfstelligen Endbetrag. Kurz überschlagen war das nicht ganz das, was wir gewohnt waren, an Geld auf einmal auszugeben. Es lag ein bisschen über meinem monatlichen Gehalt. Was in etwa so wäre, als würde man sagen, ein Elefant wäre ein bisschen schwerer als eine Ameise. Da pfiff mir schon ein eiskalter Wind durch die Unterwäsche, als diese Dimensionen Wirklichkeit wurden. Die ersten Ängste, dass wir in finanzielle Schwierigkeiten gelangen könnten, wollten uns übermannen. Aber es war ja so, dass wir das alles nicht auf einmal bezahlen mussten. Das machte die Bank und wir würden es der Bank abstottern. „Das ist dann wie Miete zahlen“, sagte ich dem Hasen, „nur mit dem Unterschied, dass das irgendwann mal aufhören wird und wir dann keine Miete mehr zahlen müssen, wenn wir alt sind.“ Ein abstrakter Gedanke, der sich beim Hasen auch in den folgenden Jahren (Jahrzehnten) nicht schlüssig durchsetzen sollte.
Mit diesen beeindruckenden und auch ein bisschen einschüchternden Gefühlen und Gedanken im Gepäck fuhren wir zu unserem Notartermin. Man ist ziemlich klein mit Hut, wenn man zu diesem Anlass einen Notar aufsucht. Schließlich kauft man ja nicht gerade täglich ein Grundstück. Unser Bürgermeister war schon da und ich glaube sein Herz klopfte nicht so penetrant schnell, wie es die unseren taten. Beinahe beiläufig wurden wir von ihm und dem Notar begrüßt und während sich die beiden über das Leben an sich, das was die Kinder machten und wie gut der jeweilige im Tennis war, unterhielten, saßen wir zwei wie verschreckte Mauerblümchen in der Ecke und warteten darauf, dass es langsam mal losgeht.
Man bemerkte uns dann doch und unser Anliegen wurde nun behandelt. In knappen Sätzen erklärte uns der Jurist, was Bestand dieses Vertrages sei und welche behördlichen Wege alles gehen würde und welche Verbindlichkeit hinter unserer Unterschrift herrscht. Das hatten wir auch alles so verstanden. Oder auch nicht wirklich, aber der würde schon wissen, wovon er redet. Schließlich bezahlten wir ihm auch nicht gerade wenig Geld dafür. Und weil er ein Notar war und weil es zu seinen Pflichten gehörte, musste er uns den Vertrag in all seinen trockentehoretischen Facetten vorlesen. Und rückblickend war es so schnell vorgelesen, als habe er den Modus der doppelten Vorlesegeschwindigkeit eingestellt. Er raste über die Zeilen und haute die Worte raus wie ein hochgetunter Zweitaktmotor. Damals dachte ich noch, er sei eine Ausnahme. Aber mittlerweile erhärtet sich der Verdacht, dass es zum Berufsbild des Notars dazugehört, dass er mehr Worte pro Sekunde sprechen kann, als Gisela Schlüter auf Speed. Sogar mein Hase in Hektik spricht dagegen noch im Zeitlupentempo.
Dann folgten noch Unterschriften hier und da, und da und hier, und dort und dorter, und an der ein oder anderen Stelle zusätzlich. Am Ende der ganzen Sache hatten wir fast mehr Unterschriften geleistet, als Namen im Telefonbuch standen (es gab damals faszinierenderweise noch Telefonbücher). Unsere Seelen waren verkauft (mal wieder) und wir bekamen dafür ein Grundstück, das uns gehörte. Oder besser gesagt, das uns gehören sollte, wenn wir der Bank dafür das Geld zurückgezahlt haben würden. Und auch wenn der Kauf dieses Grundstücks für uns die größte Transaktion war, die wir bis dahin getätigt hatten, waren die Rahmenbedingungen nicht so feierlich, wie wir es uns vielleicht vorgestellt hatten. Denn das was für uns das Besonderste, der Beginn eines der größten Abenteuer unseres bisherigen Daseins, der entscheidende Schritt überhaupt war, das war für den Notar nur lumpiges Alltagsgeschäft. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Ein bisschen Champagner und ein Feuerwerk und eine 48 köpfige Blaskapelle, die laut Halleluja spielt vielleicht. Oder das Original Fernsehballet aus den 70ern. Aber nichts dergleichen passierte. Ein bisschen ernüchternd war das schon, aber es blieb trotzdem aufregend für uns.
„Und wer wird der Bauträger bei Euch sein“, fragte unser Bürgermeister. Wahrscheinlich war es Gang und Gebe und der normale Standard, dass es Bauträger gibt, die dann die Häuser hochziehen. „Öhm, das bin dann wohl ich“, sagte ich, „ich bin sozusagen unser Bauträger.“ Es folgte eine Mischung aus betretenem Schweigen und unterdrückten Lachanfällen. Man musste kein Mentalist sein, um in den Augen des Notars und des Bürgermeisters lesen zu können, dass sie mich für einen armen Irren hielten, der auf jeden Fall scheitern würde. Wahrscheinlich schlossen sie noch Wetten ab, wann es soweit sein würde, dass ich mit dem halbfertigen Rohbau Konkurs anmelde müsste. Oder dass besagter Rohbau sich unversehens in seine Bestandteile auflösen würde. Ich wäre nicht der erste, der an so einer Sache scheitert. Aber soweit würde ich es nicht kommen lassen. Dieses Haus würde gebaut werden. Und wenn es das Letzte wäre, was ich tun würde. Naja, das vielleicht nicht, aber ich war zuversichtlich. Einige meiner Geschwister und Freunde und Bekannten hatten so ein Projekt schon in die Tat umgesetzt und da hat es immer geklappt. Warum also sollte das bei uns anders sein?
Immerhin war ich als Bauschlosser hauptberuflich schon ein bisschen mehr mit der Materie vertraut. Außerdem hatte ich ja auch bei Geschwistern, Freunden und Verwandten hier und da, mal mehr, mal weniger, beim Hausbau geholfen und war daher nicht komplett das Tal der Ahnungslosen. Mehr noch. Ich hielt mich sogar für relativ kompetent. Ich fühlte mich so, wie Checkow an Bord der Enterprise, der als Einziger in der Lage war, Kirk und Zulu, die sich im freien Fall befanden, an Bord zu beamen. Eine Unmöglichkeit, die nur er meistern konnte und das wurde ihm mit einem Mal bewusst. Und so rannte er durch die halbe Enterprise und rief fortwährend mit einem stark russischem Akzent: “ Ich kann das, ich kann das!“ Und dann beamte er sie an Bord, kurz bevor sie am Boden zerschmetterten. Genauso fühlte ich mich in diesem Moment, wusste es aber noch nicht, weil es den Film damals noch nicht gab. Deshalb verzichtete ich darauf, durch die Gegend zu rennen und permanent: „Ich kann das, ich kann das!“ zu rufen. Auch ohne russischen Akzent.
Außerdem hatte ich ja noch ein As im Ärmel. Denn auch wenn man vielleicht schon eine Menge weiß, wird man feststellen, dass es beim Eigenleistungshausbau unumgänglich ist, jemanden zur Seite zu haben, der mal so richtig Ahnung von den grundlegenden Dingen des Rohbaus hat. Denn die besten Tapeten halten nicht, wenn die Wände umfallen, weil man beim Fundament gepfuscht hat. Natürlich ist das alles auch kein Hexenwerk und vieles kann man auch mit einem gesunden Menschenverstand auf die Reihe kriegen, aber man braucht einfach einen Ansprechpartner. Jemanden, der einem die richtigen Antworten geben kann, wenn man Fragen hat. Das Geheimnis dahinter ist, dass man sich nur eine Person suchen sollte, die einem beratend zur Seite steht. Denn jeder, der mal gebaut hat, wird wissen, dass die Welt voller Experten ist und so ziemlich jeder von ihnen auch immer einen sehr guten Ratschlag hat.
Fatalerweise sind diese Ratschläge dann auch immer total unterschiedlich, obwohl sie alle dasselbe Problem behandelten. Noch fatalererweise gibt es diese Ratschläge dutzendfach und sie werden einem ungefragt zuteil. Jeder, der mal vorbeiläuft und sieht, wie man auf seinem Bau am arbeiten ist, kann nicht umhin, mal anzuhalten, vielleicht ein Bier zu trinken und dem Bauherren unverblümt mittzuteilen, was er alles anders machen sollte, wenn das hier ein richtiges Haus werden sollte. Und wenn man dann auf jeden dieser „Experten“ hört, dann ist das fertige Gemäuer auf einer Seite vielleicht mal einen Meter niedriger oder es fehlen Fenster oder dergleichen. Deshalb ist es von größter Bedeutung, dass man sich einen Ratgeber sucht, dem man vertraut und auf genau diesen einen sollte man hören. Und nur auf ihn. Das ist das As im Ärmel des Häuslebauers und mein As war mein Vater.
Als Zimmermann und Einschaler/Betonbauer hatte er in seinem Berufsleben mehr Erfahrung gesammelt als ich es je tun würde. Und er hatte schon die Bauten von meinen Schwestern und meinem großen Bruder begleitet. Da sich diese aber über einen Zeitraum von 10 Jahren bis zum Hasenhüttlbau verteilten und er dem fortschreitenden Alter Tribut zollen musste, war es so, dass er bei mir weniger aktiv helfen konnte. Aber ein „Ja“, oder „Nein“, auf eine Frage, oder ein:“ Das macht man so“ oder aber dieses verzweifelte klingende „Ohh“, das er immer von sich gab, wenn man mal Bockmist gebaut hatte und bei dem er sich parallel hinterm Ohr kratzte, waren Wegweiser genug für mich. „Du kannst Dich in Ruhe daneben setzen und zusehen“, sagte ich, als er Bedenken äußerte, dass er dem Ganzen körperlich nicht mehr gewachsen sei. „Arbeiten sollst Du natürlich nicht“, sagte ich und ihm und mir war klar, dass das so nicht ganz korrekt war. Aber so weit es irgend möglich war, sollte er körperlich geschont werden.
Doch zunächst mussten die Anfänge auf den Weg gebracht werden. Ein Architekt musste die Baupläne entwerfen und ein Statiker musste das tun, was ein Statiker so tut und eine Behörde musste die ganze Sache dann noch genehmigen. Wobei ein Bauantrag auch gerne mal ein paar Wochen oder Monate oder noch länger dauern konnte, bis er genehmigt würde. Es gab aber für Baugebiete eine beschleunigtere Variante der Genehmigung, sofern die Gemeinde da irgendwas bestätigte. Da ich von Behördenkram keinen Schimmer hatte, verstand ich die Zusammenhänge nicht gänzlich, aber unsere Genehmigung erfolgte quasi über Nacht, von einem Tag auf den anderen. In meiner Erinnerung hatte das irgendwas mit irgendeinem B-Plan zu tun. Und ich glaube mich erinnern zu können, dass es unserem Bürgermeister oblag, die Genehmigung zu erteilen. Es kann aber auch etwas gänzlich anderes gewesen sein. Aber dieses Hochgeschwindigkeitsverfahren ist mir im Gedächtnis geblieben und ich musste mich mehrfach zwicken, weil ich es nicht glauben konnte, dass so etwas nicht nur klappte, sondern auch so problemlos. Wo war er hin, der deutsche Amtsschimmel, den ich so kennen und hassen gelernt hatte? Vielleicht da wo der Pfeffer wächst, oder da wo die Sonne nie scheint, oder in einem Königreich weit, weit weg. Egal wo er war, meinetwegen konnte er dort bleiben. Denn jetzt war es endlich so weit, das große Abenteuer war nun keine theoretische Annahme mehr. Wir konnten anfangen.