Danke Robin, für Nichts…..oder die Stippvisite des verlorenen Sohnes Teil 2

Der zweite Tag seiner Besucherodyssee beginnt für unseren Sohn recht ruhig. Während unser Transkontinentalreisender seinen wohlverdienten und dringend notwendigen Schlaf erhält, fahren der Hase und ich mal los, ein paar Versicherungssachen regeln. Was man so macht im Urlaub. Ach ja, ich vergaß, der Hase und ich haben für die Dauer des Sohnaufenthalts Urlaub genommen. Man möchte ja die Zeit möglichst mit ihm verbringen, wenn er schonmal da ist.

Während wir also um kurz nach sieben wach waren….Ja, wir sind immer früh wach. Das ist schon lange so und es ist egal, ob wir Urlaub haben oder nicht. Ich würde mein Geld dafür geben, noch einmal, wie zu Jugendzeiten, irgendwann gegen Mittag aufzuwachen und sich dann nachmittags wieder hinzulegen. Aber das Leben, die Arbeit, die Aufzucht der Kinder haben mich verdorben. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal der frühe Vogel bin, der das Gold im Munde der Morgenstund sucht und entdeckt. Das Frühaufstehen war für mich, als jugendlicher Rebell, der ich eigentlich nie war, der Inbegriff für muffiges Spießertum. Und nun bin ich einer von denen geworden, der ich nie hätte sein wollen. Alt werden macht nicht immer Spaß.

Wir wecken unseren Nachkommen gegen 11, damit er frühstücken kann, während wir uns schon mit dem Mittagessen befassen können. Das muss alles zeitig geschehen, denn nachmittags fahren wir zu den Großeltern unseres Sohnes, die in Personalunion auch die Hasen- und meine Schwiegereltern sind. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Jedenfalls freuen sie sich auch darauf, dass der Enkelsohn für einen flüchtigen Moment mal vorbeikommt, um sich gegenseitig mal ein bisschen in die Arme nehmen und über das Leben in der Fremde plaudern zu können. Die Freude wird mit ein paar Kuchenstücken garniert.

Diese essen wir gerne, aber auch mit dem Wissen, dass es heute Abend Bratkartoffeln geben wird. Unser Sohn hat so ein paar Wünsche geäußert, was er gerne machen und auch essen wollen würde. Heute Abend also gibt es Bratkartoffeln und ich brate sie. Und weil wir ein straffes Programm haben, wird es auch nur eine Eintagesportion.

Habe mich aber ein bisschen mit der Menge verhauen, weswegen es eine Anderthalbtagesportion geworden ist und ich mich opfere und die Halbtagesportion zusätzlich zu meiner esse. Gespeichert wird sie dann in meinem Bratkartoffelmagen, der gleich neben dem „was sonst noch so alles weg muss“- Magen liegt. Es ist in diesen verrückten Tagen das erste Mal, dass ich den Gedanken hege, dass mein Verdauungstrakt ein bisschen an seine Grenzen gebracht werden könnte und mich beschleicht der Verdacht, dass es noch einige Steigerungen geben könnte. Aber Luftholen geht noch. Gottseidank.

Zum Thema Luftholen, ein bisschen atemlos ist das, was bei uns auf dem Plan steht, schon. Denn nach der Landung und dem Großelternbesuch am Tag nach der Landung, ist nun, am zweieinhalbsten Tag der Anwesenheit unseres Sohnes, der kleine Harzeinsatz vorgesehen. Denn dort, im Harz, also eher am Rande des Harzes, wohnt eine Hasentante. Es ist die Schwester meines Schwiegervaters und die ist erstens mit ihren 82 Jahren nicht die Jüngste und zweitens haben wir sie schon geschlagene sechs Jahre nicht mehr gesehen. Das ist nicht mit böser Absicht passiert, aber irgendwie rennt uns immer die Zeit davon und dann bleiben manchmal ein paar Besuche auf der Strecke.

Wir fahren also mit der vollen Besetzung (Hase, Sohn, Tochter, Freund von Tochter und Hasenbändiger) hin zur Tante. Die zwar ein bisschen klein und dürr ist, aber sich ansonsten in den letzten 30 Jahren so gut wie gar nicht verändert hat. Das könnte natürlich bedeuten, dass sie vor 30 Jahren schon alt ausgesehen hat, ist aber nicht so. Sie würde locker für 10 Jahre weniger durchgehen. Ich hätte gerne mal ihre Gene. Meine sind da nicht so wirklich toll.

Sie lebt in einer kleinen Wohnung und man hat das Gefühl, dass wir fünf hier überfallartig reinplatzen würden. Als würden wir die Stille durchbrechen und eine ungewohnte Hektik mit in diese ruhige kleine Wohnung bringen. Fünf Fremdkörper, die in diesen Mikrokosmos eindringen. Aber sie, also die liebe Tante, wollte ausdrücklich, dass wir reinkommen. Wir benehmen uns aber recht anständig, so dass sie ihre Entscheidung nicht bereuen sollte.

Nach einer Weile würde sie gerne noch mit dem Hasen ein paar Worte allein sprechen, sagt die Tante. weswegen wir anderen ein bisschen spazieren gehen. Wir gehen also raus und aus einem Bus, der an einer nahegelegenen Haltestelle hält, steigen ein paar Leute aus. Genaugenommen eine kleine Familie. Vater mit Vollbart und E-Zigaretten, Mutter ohne Vollbart und E-Zigaretten aber dafür etwas unscheinbar, Tochter in dem Alter, wo es langsam mal uncool wird, mit den Eltern in den Harz zu fahren und der etwas jüngere Sohn, den die merkwürdige Aura umgibt, dass er eine Art Katastrophenfinder ist und ihn deswegen große Teile der Familie wahrscheinlich lieber meiden würden. „Kann man den vielleicht umtauschen?“, schwebt als unausgesprochene Frage über ihnen.

Das Wetter ist ziemlich durchwachsen und es könnten Schauer lauern. Was uns eigentlich nicht ganz viel ausmacht, scheint die kleine Familie mit einer gewissen Trostlosigkeit auszufüllen. Verständlicherweise, denn bei diesem Wetter ist das hier gerade nicht der Place to be. Besonders nicht für halbwüchsige Kinder. Wir gehen weiter und lassen die Familie hinter uns. Wir kommen an einen kleinen Teich in dem ein paar Dutzend Goldfische schwimmen. Manche etwas kleiner, manche etwas größer und dann noch ein richtig fett großer, ja sogar riesiger, dunkelgrauer Fisch, bei dem mir aus unerfindlichen Gründen die Musik vom weißen Hai im Kopf herumspukt.

Wir genießen ein wenig die Ruhe und bestaunen diesen einen Fisch, der zwar kein Hai, aber trotzdem eigentlich viel zu groß für den Teich ist. Aus dem Augenwinkel sehe ich die kleine Familie. Vater raucht seine E-Zigarette und die Kinder haben jeweils einen Kescher in der Hand. Was die Mutter zu der Aussage führt: „Wir nehmen heute aber keine Goldfische mit!“

Das wirft Fragen auf. Als erstes: Wozu braucht man im Harz einen Kescher? Wollten die eigentlich an die See und sind in den falschen Bus gestiegen? Und wenn man nun im Harz einen Kescher dabei hat, was, außer ein paar Fischen, möchte man damit fangen? Ich bin irritiert. Und dann noch: Warum nimmt man heute keine Goldfische mit? Machen die das sonst immer, wenn die an einem Teich sind? Und wenn ja, was macht man im Urlaub mit frisch gefangenen Goldfischen? Isst man die? Wenn ja, warum? Weil Silberfische nicht schmecken? Oder räuchert man die, oder gibt es für frisch Gefangene Goldfische einen Schwarzmarkt? Alles was Recht ist, aber die vier sind schon ein bisschen eigentümlich.

Wir gehen weiter und plötzlich wird die ansonsten herrschende Ruhe von einem lauten „Plonsch!“ unterbrochen, gefolgt von einem lauten Weinen. Letzteres kommt von dem jungen Goldfischfänger, der anscheinend zu dicht ans Wasser gegangen ist und als der Katastrophenfinder, der er nunmal ist, ist er dann auch rein in den Teich. Ob nun als Vollbad oder als Teiltauchen, weiß ich nicht. Er heult jedenfalls ziemlich lautstark. Mehr als man für einen rund 10jährigen vermuten würde. Und dieses unfreiwillige Bad mit dem Geheul bringt den brüchigen Familienfrieden an seine Grenzen und lässt die Stimmung, die vorher schon trostlos war, ins Bodenlose sinken.

„Oh Mann, Robin, Du schon wieder!“, meckert die Teenagerschwester, die gerne irgendwo anders wäre, egal wo, Hauptsache nicht mit einem Kescher im Harz an diesem Teich. Gott bewahre, dass das als Foto auf Instagram erscheint. Als junges Mädchen, dass sich wahrscheinlich lieber künstliche Fingernägel auf die Eigenen pappt, ist sie hier am Rand der Erde, wenn diese eine Scheibe wäre. Allein mit dieser Familie hier? Viel dichter an der Hölle kann man nun wirklich nicht sein.

Sie würde wahrscheinlich lieber in Sibirien Eiswürfel hacken, als ihrem missratenen Bruder beim Heulen zuzusehen. Er ist eindeutig die Dramaqueen in dieser kleinen dysfunktionalen Familie. Robin, der sich gerade nicht sehr gewertschätzt fühlt, weint noch mehr. Erst Recht als seine Mutter ihn unwirsch in Richtung einer Parkbank zerrt und sein E-Zigarettenrauchender Vater ihn auch noch parallel dazu niedermacht: „Danke Robin, für Nichts! Schön, dass du uns auch diesen Tag versaust“ Es scheint so, als wäre es eine Negativserie die unser Robin hat. Und ich denke: „Alter, egal was oder wer, aber ich möchte nicht Robin sein. Nicht mit der Sippe!“

Wir verlassen diesen, nun doch etwas gruselig gewordenen, Ort und sehen noch die schrillen Vier auf der Parkbank. Die Tochter wartet immer noch darauf, dass irgendein Superheld sie hier rettet und entführt, die Mutter versucht den bibbernden (es ist gerade nicht allzu sehr warm hier) Robin trockenzulegen, was ohne Wechselklamotten schwierig ist, und mit Klamotten für Robin wahrscheinlich die Höchststrafe wäre, wenn er sich öffentlich umziehen müsste. Also sieht man ihm an, dass alles Unglück auf der Erde, gerade mit einem Füllhorn über ihn ausgeschüttet wurde und der Vater meckert ihn die ganze Zeit an.

„Du wolltest doch unbedingt noch ein zweites Kind“, sagt der Vater zur Mutter, “ da siehst du mal, was wir davon haben!“ Natürlich sagt er das nicht. Zumindest vermute ich, dass er es nicht sagt, aber es würde mich nicht überraschen, wenn er es täte. Wenn es für angewandte Pädagogik eine Goldmedaille geben würde, dann hätte er sie verdient. Ich denke, man selbst macht nicht immer alles richtig, wenn man seine Kinder erzieht, aber ich glaube, bei uns war es nicht so schlimm. Die Kinder sehen mich jedenfalls mit einer gewissen Dankbarkeit an.

Ein Regenschauer kündigt sich an und wir gehen wieder zurück zur Tante, weil wir gleich nach Goslar, das nicht sehr weit entfernt ist, fahren wollen. Es wird Zeit endlich mal wieder irgendwas zu essen. Die Tante und der Hase sind schon im Tantenauto und warten auf uns, auf dass wir losfahren können. Ich fahre hinter ihnen her. Was auf den zweiten Blick weniger einfach ist, als man es auf den ersten Blick vermuten könnte. Denn die Tante ist zwar nicht wirklich jung und dafür aber sehr zierlich, aber im Auto da packt sie dann noch mal den in ihr schlummernden Formel 1 Piloten aus.

Es wird überraschend schnell gefahren und ich habe Mühe ihr zu folgen. Manchmal meine ich Reifen quietschen zu hören, so schnell fährt das Tantchen. Und dann, an einer Ampel in der Goslarer Innenstadt, wartet sie geschickt das Ende einer Grünphase ab, um mich, der ich dann, vor der nun rot gewordenen Ampel stehe, abzuhängen. Und da waren sie wieder meine drei Probleme. Ich bin ein Fremder in einer fremden Stadt und muss eine Tante suchen, von der ich nicht weiß, wo sie letztendlich hingefahren ist. Und es wird langsam Zeit mal wieder irgendwas zu essen.

Ob und wie sich diese Dinge nun in Luft auflösen, oder nicht und warum es in der Altstadt von Goslar auch bei Schauerwetter eine Staubwolke gibt, dazu mehr in der nächsten Folge.