Da kriegt der Hase die Motten

Ich liebe den Sommer. Zumindest, wenn es nicht zu warm ist. Oder zu kalt. Zu trocken ist auch nicht richtig und zu nass erst recht nicht. Aber sonst liebe ich den Sommer. Laue Abende auf der heimeligen Terrasse mit einem kühlen Bier und einem Buch in der Hand. Ohne Buch geht aber auch. Das kühle Bier ist in diesem Zusammenhang ungleich wichtiger. Aber es gibt da etwas, das mir die Freude am Sommer doch sehr vermiesen kann: Insekten! Besonders diejenigen von ihnen, die nachts aktiv werden.

So kann mich der Anblick einer hektisch flatternden Motte in unserem Schlafzimmer, je nach Größe des Flugobjektes (manche sind groß wie Handteller, ich schwöre) schon an den Rand einer Panikattacke bringen. Ich nehme deshalb auch immer präventiv die Schüssler Salze Nr. 2, 3, 5, 7 und 19 zur Nervenberuhigung ein. Und das auch nicht zu knapp. Ich werde dann ruhig, ganz ruhig und wenn sich dann ein unkontrolliert fliegendes Mottenvieh in unser Gemach verirrt, blicke ich es, vollkommen high wie ich bin, lächelnd an und sage:“Du bist doch auch nichts anderes als ein hässlicher Schmetterling!“ Meist hilft das. Manchmal aber siegt doch die Panik und ich erlege das Tier. Der damit einhergehende hässliche Fleck, den der Kadaver auf unserer Tapete hinterlässt, ist nicht selten Anlass zu einer Diskussion mit dem Hasen. Sie meint, man müsse doch nicht soo feste draufhauen. „Soll ich das Ding kaputtstreicheln?“ „Nein, aber etwas weniger Wucht und dann bleibt das Tier heile.“ „Vielleicht hat es dann ja Kopfschmerzen und ich gebe ihm noch ein Aspirin!“ Ich sei ein Spinner, sagt der Hase und fragt:“Was haben Dir die Motten eigentlich getan?“ „Sie machen mir Angst!“ Der Hase lacht und meint, sie würde niemals auf die Idee kommen, derart brutal auf Insekten einzuschlagen.Das sollte sich allerdings noch relativieren.

Neulich nachts, träumte ich gerade von einem Urlaub in der Karibik, den ich mir außerhalb des Traumes niemals leisten könnte. Ich lag am Strand, eine lauwarme Brise umschmeichelte meinen durchtrainierten Körper (ja, es war schließlich ein Traum und da kann ich mir auch mein Erscheinungsbild schön träumen), als ich eine sanfte Stimme vernahm. Was die Stimme sagte konnte ich nicht verstehen, aber ich nahm meine Sonnenbrille ab und blickte in die Richtung aus der die lieblichen Klänge kamen. Gleißendes Sonnenlicht brannte mir plötzlich in den Augen und ich erwachte aus meinem Traum. Die Stimme gehörte dem Hasen und war sonst eigentlich schon lieblich. Nur im Moment nicht und das Sonnenlicht war auch kein Sonnenlicht. „Diese verdammten Mistviecher!“, zischte der Hase und schaltete jede nur erdenkliche Lichtquelle in unserem Schlafzimmer ein. Boah, was war hier los? Ich wollte wieder zurück in die Karibik. Ging aber nicht. Der Hase redete, oder besser schimpfte sich in Rage. Ich war immer noch schlaftrunken. Es war schließlich 3.48 Uhr nachts und in unserem Schlafzimmer war es derart hell, dass das Licht bestimmt auch durch das Mauerwerk scheinen konnte. „Was machst Du?“ fragte ich und bekam mein rechtes Auge langsam auf. „Ich werde sie alle umbringen!“, sagte der Hase. Der Schleier vor meinem Auge lichtete sich langsam und ich erkannte den Hasen, wie sie unruhig durch das Schlafzimmer patrouillierte.

Sie trug ein rötliches Nachthemd, die Haare waren ein wenig in Unordnung geraten, wie es nachts halt bei allen Menschen so ist, und ihr Blick war eiskalt, ja sogar ein wenig mordlüstern. In der rechten Hand hielt sie eine Fliegenklatsche. Sie hielt sie derart fest, dass ihre Fingerknöchel schon ganz weiß waren. „Wen willst Du umbringen?“ „Diese gottverdammten Scheißmücken! Und wenn Du das Insektengitter an das Fenster angebracht hättest, wie Du es mir schon lange versprochen hattest, dann wären hier jetzt keine Mücken!“ „Also Schuldzuweisungen helfen da jetzt auch nicht weiter. Und außerdem möchte ich gerne weiterschlafen“, wagte ich zu bemerken. Ja, das kam jetzt nicht so besonders gut an. Sie wurde noch ungehaltener. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Genaugenommen vom linken Auge, denn das war nur halb geöffnet. „Ich habe sehr wohl das Insektengitter angebracht!“ Ich war mir meiner Sache hundert prozentig sicher.

Zwei Tage zuvor, in den frühen Morgenstunden, noch bevor ich wach sein musste, parkte ein Taxi auf unserer Straße. Es wartete darauf, jemanden aus der Nachbarschaft mitnehmen zu können. Wenn ich jetzt sage, es stand praktisch unter unserem Schlafzimmerfenster, ist das ganz dicht an der Wahrheit. Es war warm, sehr warm in unserem Schlafzimmer und deshalb hatten wir unsere Fenster weit geöffnet. Das Geräusch eines laufenden Motors, wie von diesem Taxi war also sehr direkt für uns zu hören, aber der Klang hatte auch etwas beruhigendes und würde uns nicht weiter stören. Was man von dem dumpfen Geräusch des Radios von dem Taxi, das durch die geschlossene Fahrgastzelle nach außen drang, nicht behaupten konnte. Augenscheinlich, oder müsste man ohrenscheinlich sagen, liefen gerade Nachrichten. Dann öffnete der Fahrer die Tür und weil er so in Geberlaune war, ließ er sie auch offen. Das Soundsystem seines Fahrzeugs war von außerordentlicher Qualität und ich vermute, er wollte uns daran teilhaben lassen. Die Stimme der Nachrichtensprecherin war glasklar zu hören und das in einer Lautstärke , die mir den Eindruck vermittelte, die gute Frau säße direkt neben meinem Bett und würde mir gerade die Aktienkurse ins Ohr brüllen.

Nun bin ich ein friedfertiger Mensch, aber was zuviel ist, ist zuviel. Zorn stieg in mir auf und ich verließ wutentbrannt das Bett. Stolperte erst einmal über die Bettdecke, die sich um meine Füße gewickelt hatte. „Ach scheiße“, rief ich und richtete mich auf. Mein Puls war auf hundertachtzig. Dem blöden Taximann würde ich erstmal den Marsch blasen. Da die Fenster offen waren, ging ich dort hin und steckte meinen Kopf hindurch. Das heißt, ich wollte ihn hindurch stecken. Er blieb am Insektengitter hängen, dass ich drei Tage zuvor angebracht hatte. Muss ein schöner Anblick gewesen sein. Das Insektengitter, dass sich wie die Sprungfläche eines Trampolins wölbte katapultierte meinen Kopf zurück. „Hallo!“, rief ich dem Übeltäter zu. Es war ein äußerst unfreundliches „Hallo“ und ich rief es so laut, dass er es hören musste. Man könnte fast sagen, ich hatte ihn angeschrien. Und was macht mein drogenumnebelter Taxifahrer? Er wirft mir ein total freundliches und fröhliches „Hallo“ zurück, so als wenn ich ihn gerade freundlich begrüßt hätte. „Ob das verkackte Radio vielleicht auch noch leiser geht?“ fragte ich rhetorisch. „Aber klar doch.“ Seine Stimme hatte nichts von ihrer Freundlichkeit verloren. Es passierte nichts. Die Nachrichtenbraut brüllte unvermindert weiter. „OB ES WOHL JETZT SOFORT LEISER GEHT?“ Ich bekam schon einen schrillen Unterton in der Stimme. Das schien zu wirken. Der Akustikattentäter drehte die Lautstärke runter, murmelte noch ein halbherziges „Blödes Arschloch“ in seinen Bart und fuhr kurz darauf von dannen. Ich hatte gesiegt, aber schlafen konnte ich nicht mehr.

Mich an diesen kleinen Vorfall erinnernd, konnte ich eine schlüssige Argumentation aufbauen, die besagte, dass ich das Gitter angebracht hatte. „Weißt du“, sagte ich, „Du liest doch immer noch im Bett und dann hast Du das Licht an und weil du auch die Tür offen lässt, können die Mücke auch aus gänzlich anderen Bereichen des Hauses ins Schlafzimmer kommen.“ „Ach, jetzt bin ich also Schuld!“, sagte der Hase und es lag keine Freundlichkeit in ihrer Stimme. „Naja, wer denn sonst?“ „Also Schuldzuweisungen helfen da jetzt auch nicht weiter“, sagte der Hase, „Hilf mir lieber!“. Es war mittlerweile vier Uhr. Ich war aus dem Schlaf gerissen worden und hundemüde. Die Flutlichtanlage tauchte unser Schlafzimmer in ein gleißendes Licht und nichts lag mir ferner, als jetzt auf Mückenjagd zu gehen. Vor allem, weil sie mich überhaupt nicht angefallen hatten. „Ich glaube Du hast etwas im Blut, was die Mücken anzieht“, sagte ich. Der Hase drückte mir die Klatsche in die Hand. „Jetzt bist du mal dran“, sagte sie und legte sich hin.

Und jetzt kam eine Besonderheit zum tragen, um die ich meinen Hasen schon immer beneidet habe. Sie legt sich hin, dreht sich einmal auf die Seite und binnen fünf Sekunden schläft sie. Ruckzuck! einfach so! So etwas kann sie zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Während ich noch die großen Probleme der Weltpolitik oder meines Stoffwechsels erörtere, bevor ich langsam in den Schlaf gleite. Und so war es auch hier. Sie schlief schon, bevor ihr Kopf das Kissen erreicht hatte. Ich lief derweil Streife und suchte nach der Mücke. Und ich fand sie. Und ich zerschmetterte sie! Es gab auch hier einen hässlichen Fleck, weil sich das Tier anscheinend kurz vor seinem gewaltsamen Tod noch vollgesaugt hatte. Das Blut klebte nun mitsamt dem zerschmetterten Körper des Flugsaugers an der Tapete. Triumphierend legte ich mich hin, erörterte noch ein paar weltbewegende Dinge und schlief ein. Bis zu dem Zeitpunkt, als sich anscheinend die Verwandtschaft der verstorbenen Mücke zur Trauerfeier in meinen Gehörgängen versammelte. Wieder erwacht schlug ich wie ein Irrer auf meine Ohren ein. Eine Mücke habe ich dabei nicht getroffen. Aber seitdem habe ich einen Tinnitus. Und der ist lauter als die Mücken und die Taxifahrer.