Der Flugkapitän spricht laut und deutlich. Die Sitze sind einigermaßen bequem. Man hat ansatzweise Platz. Schlafen geht nicht, dafür ist`s dann doch zu eng. Habe Musik in den Ohren. Krach gegen Lärm hat sich schon oft bewährt. Der Kopf taumelt hin und her. Links tauchen die Alpen auf. Als Blickfang. Ich sitze rechts. Keine Alpen. Unser Sohn sitzt am Fenster und ich daneben. Der Hase und unsere Tochter in gleicher Konstellation auf der anderen Seite des Ganges. Zwei Kinder vor uns. Sind anscheinend ruhig. Der Vater sitzt neben den Kindern, die Mutter neben mir. Nehme irgendwann die Kopfhörer ab. Es ist still. Soweit es still sein kann in einem Flugzeug. Das Kind schräg vor mir, ein Mädchen von höchstens sechs Jahren, sagt Miau. Ungefähr tausendmal in der Minute. Aber nicht laut. Bin entspannt. Die Mutter entschuldigt sich für Miau. Man sieht ihr an, dass sie befürchtet, dass ihre Tochter von nun an, bis zum Ende des Urlaubs, als miauende Katze unterwegs sein wird. Ihr Nervenkostüm ist in dieser Hinsicht schon ein wenig dünn und bei jedem Miau zuckt sie ein wenig zusammen. Mein Sohn und ich sagen einfach mal Miau zueinander. So im Scherz. die Mutter entschuldigt sich immer noch. Wir sagen, es ist nicht wild. Ist ja relativ leise. „Zwei Eimer am Ballermann, dann ist das Kind ruhig“, sage ich der Mutter, die eventuell nach einer Katzenpension für ihr Tochter suchen wird. Das Kind guckt zu mir nach hinten. Ich mache ein freundliches Gesicht und sage freundlich: „MIAU!“
Das Kind kriegt einen panischen Gesichtsausdruck und dreht sich sofort traumatisiert um. Obwohl es ja mein nettes Gesicht war. Diese Art von Gesicht, das kleine Kinder dazu bringt, von mir als „der nette Onkel“ zu sprechen. Also eigentlich würden Kinder so etwas sagen, denke ich. Aber in diesem Fall scheint es etwas anders zu sein. Es schweigt von nun an. Also das Mädchen vor uns. Und die Mutter ist glücklich. Und wir scherzen noch ein wenig, da kommt die Durchsage vom Piloten, dass wir eine halbe Stunde früher als geplant landen werden. Es ist kein Verlass mehr auf Flugpläne. Vielleicht sollte ich mich beschweren, dass man mir Flugzeit, die ich gebucht hatte, vorenthalten hat. Wir landen. Das Gepäck ist schnell da und wir ebenso schnell an einem Busparkplatz, wo unser Reiseveranstalter zwanzig Busse stehen hat, die überall auf der Insel die Touristen zu ihren Unterkünften bringen sollen. Wenn wir nur wüssten, welches unser Bus ist. Aber genau dafür hat der Reiseveranstalter ein paar Angestellte postiert, die Leuten wie uns weiterhelfen sollen.
Es ist übrigens sehr warm hier auf Mallorca und ich bin mal wieder begeistert, dass ich Palmen sehen kann. Echte Palmen, die hier in Palma überall wachsen. Woher die Stadt wohl ihren Namen hat. Ich habe eine Vermutung. Der Hase krallt sich einen Mitarbeiter und fragt freundlich, welches denn unser Bus wäre. Der Gekrallte fragt nach unserem Namen und verschwindet, nachdem er gehört hat, wen er vor sich hat. Wahrscheinlich nur Zufall. Neben uns steht eine weitere Mitarbeiterin, die ebenfalls Reisende vor sich hat, aber nicht wegläuft. Der Hase wird skeptisch. Was, wenn wir hier nicht rechtzeitig in den Bus einsteigen könnten? Es ist ja immerhin eine gute Stunde Fahrt bis zum Hotel. Da wäre ein Taxi teuer. Ich versuche zu erklären, dass wir kein Taxi brauchen, weil wir ja in einen der Busse einsteigen können. Aber der Hase ist schonmal unterwegs, weil sie die Nummer unseres Busses einem der Informanten ausgepresst hat, als sie ihn ein bisschen gewürgt hat. Was natürlich nicht stimmt (noch nicht), weil eine gezielte Befragung ausgereicht hat.
Und schon ist der Hase verschwunden und wir anderen drei warten. Mich überkommt eine gewisse Ruhe. Ich bin im Urlaub und beginne zu entspannen. Ich bin innerlich so entspannt, als hätte ich ein bisschen Haschisch geraucht. Nicht, dass ich das jemals schon gemacht hätte. Ich bin begnadeter Biertrinker und auch ein Schnäpschen darf es mal sein. Und wenn der Hase nicht hinsieht auch schon mal drei Schnäpschen. Aber gekifft habe ich nie. Nicht einmal probiert. Aber ich vermute, dass man als Bekiffter ähnlich entspannt sein könnte. Der Hase kommt wieder und ist unruhig. Genau sehen, welcher Bus es sein wird, konnte sie nicht und der Mitarbeiter, also der Geflüchtete, ist auch noch nicht wieder da. Ungewissheiten mag der Hase nicht. Und schon gar nicht, wenn der Urlaub beginnt. Vielleicht sollte der Hase mal irgendein Kraut rauchen, denke ich, wage es aber nicht, ihr diesen Vorschlag zu machen. „Es ist Urlaub“, sage ich, „immer schön ruhig bleiben.“ Mein kleiner brodelnder Vulkan versucht es mit dem Ruhigbleiben und erzielt erste Erfolge.
Drei Mitarbeiter unterhalten sich angeregt und blicken immer in unsere Richtung. So als würden sie darüber beraten, was sie mit uns anfangen sollten. Dann kommt aber die Auflösung und wir werden zu unserem Bus gebracht. Dort wartet ein Busfahrer, der in einer wilden Mischung aus deutschem Englisch mit einem enorm ausgeprägten spanischen Akzent nach unserem Nachnamen fragt. Er zeigt dabei auf eine Liste und wir erkennen unseren Namen und sagen es ihm. Wenn ich ihn richtig verstehe, hat er nur mich und unseren Sohn auf dieser Liste stehen. Aber er lädt alle vier Koffer ein und wir entern den Bus. Der, wie ich erfreut feststelle, klimatisiert ist. Ein paar Reisende sind schon an Bord und es folgen noch einige, bis irgendwann keiner mehr kommt. Aber der Bus fährt nicht los. „Wahrscheinlich hat er Euch beiden auf seiner Liste noch nicht abgehakt und wartet nun, dass ihr kommt“, sage ich zum Hasen und unserer Tochter. Da es aber aufgrund der sprachlichen Barrieren ein Ding der Unmöglichkeit ist, diesen Sachverhalt mit dem Busfahrer zu klären, warten wir lieber ab. Viele Busse fahren schon los, nur unser nicht. Und ich versuche zu googeln, was auf Spanisch heißt: „Lieber Busfahrer, ich weiß nicht, ob es in Ihrer Liste noch die Namen meiner Frau und meiner Tochter gibt und Sie eventuell auf die beiden warten. Sollte das der Fall sein, kann ich Sie beruhigen, sie sind schon an Bord und wir können nun abfahren.“
Genaugenommen heißt es: “
Estimado conductor de autobús, no sé si los nombres de mi esposa e hija todavía están en su lista y si posiblemente los esté esperando. Si ese es el caso, puedo asegurarle que ya está a bordo y podemos partir ahora.
Und ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles fehlerfrei aussprechen könnte, also lass ich es. In diesem Moment fährt der Bus aber auch schon los. Durch ein ziemliches Straßengewirr geht es dann raus aus der Stadt, auf eine Art Autobahn, die einmal über die Insel führt. Und weil es eine recht große Strecke ist, hat man nicht das Gefühl, auf einer Insel zu sein. Das Inselinnere ist relativ flach, aber zu beiden Seiten werden Berge sichtbar und ich weiß jetzt schon, dass ich irgendwann in den nächsten Tagen mit einem Auto ins Gebirge möchte. Sowas hat man zu Hause ja nicht. Und ich weiß nicht genau, wie ich mir Mallorca vorgestellt habe, aber es ist auf jeden Fall anders als gedacht. Es ist recht trocken und unser Sohn hat herausgefunden, dass es im Juli durchschnittlich keinen Regentag gibt. Im August sind es wohl mal so zwei und auch ansonsten gibt es eigentlich keiner richtige Regenzeit hier und ich frage mich, was in aller Welt hier eigentlich wachsen und gedeihen soll.
Oleander zum Beispiel. Der Hase kennt ja Blumen immer mit Vornamen und entdeckt auf dem letzten Drittel der Fahrt, dass in manchen Gärten und auch sonst so, viel Oleander blüht und der Hase findet blühenden Oleander offensichtlich sehr schön. Und jedesmal wenn sie einen sieht, sagt sie: „Oh, ein Oleander.“ Oleander hier, Oleander da, ich glaube die gesamte Flora besteht zu 112% aus Oleander. Vielleicht gibt es ja auch eine Stadt, die so heißt. So wie Palma. Ich persönlich kenne Oleander nur aus einer alten Fernsehwerbung für einen Weichspüler und hatte damals, als Kind, immer gedacht, Oleander wäre irgendein Männername. Vielleicht ist es das ja auch, aber ich persönlich kenne niemanden, der so heißt. Der würde auch bestimmt mit Nachnamen Vernell heißen.
Nach einer Fahrt durch eine eher dünnbesiedelte Gegend kommen wir an die nördliche Küstenregion, in der auch Can Picafort liegt. Ein Ort, der vollkommen touristisch erschlossen ist, aber trotzdem irgendwie auch interessant aussieht. Wir erreichen das Hotel, das von außen einen schönen Eindruck macht und gehen in die Lobby, in der es ein paar Grad kühler ist, als draußen. „Ola“, sagt die Dame vom Empfang und ich weiß durch mein lückenhaftes Halbwissen, dass es so in etwa „Hallo“ heißt. Den Rest der Begrüßung und die Klärung einiger Details zu unserem Aufenthalt bespricht sie auf Deutsch mit uns. Und nachdem nun der Flug so gut geklappt hat und auch die Busfahrt insgesamt eigentlich reibungslos verlief, bin ich ein bisschen argwöhnisch, dass unsere Glückssträhne abreißen könnte. Zum Beispiel, dass wir erst in fünf Stunden ins Zimmer könnten, oder dass das Küchenpersonal streikt und es kein Essen gibt. Lauter solche Sachen eben.
Aber Pustekuchen. Wir können sofort in die Zimmer und in einer halben Stunde gibt es Mittagessen. Wir müssen noch Kurtaxe bezahlen (was mich so weit weg von Deutschland irgendwie erstaunt), Pfand für Strandhandtücher hinterlegen und eine Gebühr für einen Tresor auf dem Zimmer zahlen. Dann geht‘ s los. Ab in den ersten Stock zu unseren Zimmern. Welche sich aber als Appartements herausstellen. Ich bin ja schon in einigen Hotels gewesen in meinem Leben, aber ein Appartement habe ich bisher noch nie bewohnt. Das ist schon Luxus, finde ich. Es gibt ein Schlafzimmer, das durch eine zweiflügelige Schiebetür abgetrennt werden kann, ein Wohn- und Esszimmerbereich mit Küchenzeile, ein Bad und einen recht großen Balkon. Und alles ist hell, sauber und modern und auf dem Sofa kann man prima sitzen und rumlümmeln. Ich weiß nicht, ob wir wirklich Appartements gebucht hatten, aber der Hase meint, dass es so wäre. Jedenfalls haben wir einen seitlichen Meerblick, der definitiv nicht Bestandteil unserer Buchung ist. Der Hase ist ganz aus dem Häschen, äh Häuschen und ich bin auch begeistert.
Es gibt ein paar kleine Gebietsstreitigkeiten bei der Aufteilung der Kleiderschränke zwischen dem Hasen und mir. Wir einigen uns jedenfalls darauf, dass ich zwei Schubladen bekomme und ein Fach weit oben. Immerhin. Das Badezimmer ist auch sehr schick, aber die Klospülung führt eine Art Eigenleben. Ein erster Testlauf vermittelt das beunruhigende Ergebnis, dass die spülende Wassermenge eher gering ist. Mache mir ein paar Sorgen, dass es im Ernstfall nicht ausreichen könnte und google schon mal, was man dem spanischen Klempner sagen muss, wenn die Toilette verstopft ist. Aber zunächst einmal geht es zum Essen in den Speisesaal. „Kantinenessen“ hatte es dieser eine schlechte Bewerter genannt und ich bin auf das Schlimmste gefasst. Schon komisch, wie einen die Meinung irgendeines Miesepeters, den man nicht einmal kennt, so nachhaltig beeinflussen kann.
Die Sorgen sind unbegründet, denn es ist schön in diesem Speisesaal und es gibt jede Menge leckerer Sachen. Ich glaube ich bin im Schlaraffenland und die Kinder bekommen riesige Augen und freuen sich ungebremst darüber, was es alles gibt: Pizza, Hamburger, jede Menge Gemüsesorten, Fleisch, Fisch (ganz viel Fisch), Salate, Beilagen, Desserts und Obst. Wenn bei dem Bewerter so die Kantine aussieht, dann möchte ich auch da arbeiten, wo er arbeitet. Die Getränke zapft man selbst aus einem Automaten, wo es die üblichen Verdächtigen (Cola, Fanta usw.) und auch Wasser gibt. Bier darf man nicht selbst zapfen, das besagt ein Gesetz hier auf Mallorca.
Wir sind mega hungrig und laden uns die Teller voll. Als wir sie geleert haben, taucht aus dem Nichts ein Kopf auf. Dieser gehört zu einem der vielen Leute vom Service, die hier umherschwirren, um uns alle zu betüdeln. Der Mittvierziger dreht sich zu mir. Er hat eine Zahnlücke und ist sehr freundlich und fragt: „You finish?“ „No, I´m German“, bemühe ich einen alten Kalauer und die Kinder rollen mit den Augen. Dem Hasen ist es auch ein wenig unangenehm. Der Flachwitz, an und für sich, führt zuweilen ein trostloses Dasein in meiner Familie. Der Servicemann möchte die leeren Teller abräumen und wir marschieren ein zweites Mal los.
Wir essen, es taucht ein anderer Kopf auf, der wieder abräumt und ich zapfe meine gefühlt zehnte Cola. Wer weiß, ob die nicht irgendwann mal knapp wird. Da muss man gleich zulangen. Das erste Ergebnis des Essens: Es gibt wirklich viel, es sieht alles super aus und es schmeckt mir auch alles. Ich probiere viel von Sachen, die ich so noch nicht gegessen habe. Der Hase macht das eher nicht. Zumindest nicht, wenn es mehrere Arme hat, oder Augen, die einen angucken und fragen, ob man sie wirklich essen will. Ich bin halt offen für sowas. Aber immer mit dem gewissen Risiko, dass irgendwas mir irgendwann auch mal nicht schmeckt. Einfach, weil es nicht mein Geschmack ist. Zum Küchenpersonal habe ich jedenfalls vollstes Vertrauen. Der schlechte Bewerter hat übrigens lieber auswärts gegessen, weil ihm hier alles nicht gut genug war. Hat ihn 500 Mäuse gekostet. Also entweder sind meine Ansprüche einfach zu niedrig, oder aber er ist ein Snob. Ich für meinen Teil beschließe, nie wieder auf fremde Bewertungen zu hören. Ich persönlich gebe dem Hotel für den ersten Eindruck volle 5 Sterne und ich denke, der Rest der Hasenfamilie sieht das genauso.