Ausgeheckt

Ich bin ein Filmliebhaber. Also damit man es richtig deutet, ich bin kein Liebhaber in Filmen, sondern ein Liebhaber von Filmen. Nicht dass ich ein echter Cineast wäre, der alles über Bedeutung und Hintergründe verstünde, aber schon jemand, der durchaus mal einen ganzen Tag lang pausenlos Filme ansehen könnte. Gute Filme natürlich. Und da ich ja auch nicht mehr der Taufrischeste bin, ist es nicht weiter verwunderlich, dass ich ungefähr eine halbe Millionen Filme kenne. Und einige davon bleiben mir immer im Gedächtnis. Entweder weil sie so phänomenal gut sind, oder weil sie mich an eine Begebenheit erinnern.

So habe ich lebhafte Erinnerungen daran, als ich „Vater der Braut“ im Kino gesehen habe. Das ist rund 32 Jahre her und ich war damals mit dem Hasen im Kino. Nicht nur mit dem Hasen, sondern auch mit meinem Cousin, der besten Freundin des Hasen und ihrem Freund, der mein Handballkumpel war. Der Hase und ich waren noch nicht zusammen, aber wir hatten eine Menge Spaß im Kino und die Eintrittskarten hängen heute noch an der Pinnwand in der Küche. Und jedesmal wenn ich sehe, dass „Vater der Braut“ im Fernsehen läuft, spule ich innerlich die 32 Jahre zurück und im Innersten kann ich noch fühlen, wie aufregend und schön es war, mit meinem (späteren) Hasen zusammen in einem Kino zu sein.

Einen ähnlichen Effekt hat auch der Film Bärenbrüder. Also einen erinnernden Effekt meine ich, nur nicht so romantisch. Unsere Kinder waren noch recht klein und ich hatte ihnen versprochen, dass wir alle zusammen als Familie auf einem Sonntagnachmittag ins Kino gehen würden, um den Film zu sehen. Ein Versprechen, dass mich als Vater einfach mal großartig erscheinen ließ. Fatalerweise hatte ich dabei übersehen, dass am Samstag davor ein Gelage mit Kumpels an einem großen Lagerfeuer anstand. Und wie es so ist mit Gelagen mit Kumpels, je länger der Abend, desto größer der Spaß und tiefgründiger die Gespräche. Und dann findet man kein Ende, aber immer noch das letzte Getränk, das wirklich letzte Getränk, das ganz bestimmt allerletzte Getränk. Und mit Beginn der Morgendämmerung (es war Ende Oktober) beendeten wir unser gemütliches Beisammensein und ich begab mich schwankend nach Hause.

Ein bisschen Schlaf würde helfen. So bis 15.63 Uhr oder so ähnlich. Aber ich hatte ja diesen Film vergessen, der gegen 14 Uhr lief und so weckte der Hase mich ebenso vorwurfsvoll wie auch frühzeitig. Mein Zustand war, naja ein wenig ramponiert, aber immerhin nicht so schlimm, wie ich es befürchtet hatte. Eine Dusche, ein flüchtiges Frühstück/Mittagessen und anderthalb Liter Mineralwasser brachten mich wieder einigermaßen auf die Spur und wir fuhren hin zum Kino. Ich brachte das Kunststück fertig, mir wirklich so gut wie gar nichts anmerken zu lassen. Die Kinder waren froh, der Hase gnädig und mein Magen rebellierte ein bisschen.

Dann fing der Film an und ich kriege nicht mehr viel davon zusammen, aber ich glaube am Anfang kam da diese gigantische Herde Elche angerannt oder Rentiere, oder Rinder, ich weiß es nicht mehr so genau. Wahrscheinlich ein paar hunderttausend von ihnen und sie rannten walle auf mich zu. Egal, es waren einfach viel zu viele Informationen auf einmal, die auf mich einprasselten. Die Elche schienen von der Leinwand auf mich zu zu springen. Mit den restlichem Promillegehalt war ich anscheinend in der Lage einen 2D Film in 3D zu sehen und das komplett ohne Brille. Ich sollte mir das eigentlich patentieren lassen. Aber in diesem Augenblick war mir das egal, denn ich hatte Angst niedergetrampelt zu werden. Mich gerade noch beherrschen könnend, nahm ich Abstand davon, lauthals Hilfe schreiend den Saal zu verlassen. Ich hoffe jedenfalls, dass es so war. Den Film habe ich nie wieder gesehen und die Handlung auch schnell vergessen (war damals auch nicht ganz bei der Sache), aber die Elche/Rentiere oder was auch immer, die sind im Gedächtnis geblieben.

Ab durch die Hecke ist auch so ein spezieller Fall. Einer von diesen Filmen, die wie die Bärenbrüder nicht im Gedächtnis blieben, weil sie so mega toll gewesen sind. Wahrscheinlich nicht schlecht, aber nichts was aus der Masse heraussticht. Aber vergessen habe ich diesen Film auch nie und das kam so:

In ihren jüngeren Jahren hatte unsere Tochter des Öfteren mit Atembeschwerden und Asthma zu kämpfen. Wir hatten schon einige Dinge versucht, ihr ein Inhalationsgerät besorgt und sind mit ihr bei einigen Ärzten gewesen. Aber nichts davon brachte einen Durchbruch. Ein weiterer Pfeil im Köcher war eine Kur für unsere Tochter. Da sie aber noch zu jung war, um allein auf Kur zu fahren, hatte der Hase mit ein paar gezielten Telefonaten dafür Sorge getragen, dass sie als Begleitperson mitkommen würde. Eine Mutter/Kind-Kur sozusagen. Und weil unser Sohn noch zu jung war, um allein zu Hause bleiben zu können, während ich auf der Arbeit war, kam auch er mit. Für mich gab es keine logischen Argumente, die dazu geführt hätten, dass ich auch noch dabei sein konnte (zu alt, zu dick, zu hässlich, der soll mal lieber arbeiten gehen). Also war es eine Mutter/Kind/Kind/ohne den Alten-Kur.

Das Ziel des kurenden Aufenthalts war Boltenhagen und meine kleine Familie würde hier drei Wochen mindestens verbringen. Und weil es mitten im Sommer war und ich auch ein paar Tage Urlaub hatte, bin ich zumindest die ersten zehn Tage mit hingefahren. Natürlich ohne in dem Kurheim untergebracht zu sein. Das alles ist schon etliche Jahre her und die Küstenorte waren noch nicht so komplett überlaufen, wie sie es heute sind, also hatte ich mir im Vorfeld Ferienwohnungen gesucht, in denen ich nächtigen könnte. Komischerweise hatte ich allerdings für die erste Nacht noch nichts gefunden gehabt. Die Internetpräsenz der Vermieter solcher Wohnungen war damals noch nicht sehr ausgeprägt. Mit einem Hauch von Abenteuerlust dachte ich mir, dass sich das schon irgendwie ergeben würde, wenn ich vor Ort wäre. Zur Not könnte ich ja auch eine Nacht im Zelt auf dem Campingplatz vor Ort verbringen. Allerdings war mir eigentlich klar, dass ich nicht im Mindesten Lust hatte, ein Zelt aufzubauen, geschweige denn dort auch drin zu schlafen. Also brachte ich meine Familie zum Kurheim, auf dass sie dort aufgenommen würden und verbrachte den Rest des Tages damit, ein Zelt im Kofferraum zu haben, dass ich nicht aufbauen wollte, aber gleichzeitig war ich auch unwissend, wo zum Henker ich denn schlafen könnte.

Vielleicht auf einer Parkbank. Schließlich war ja Sommer und ein schöner noch dazu. Ich schlenderte ein bisschen durch den malerischen Ort, dem man seine DDR Vergangenheit nicht mehr ansah. Schließlich war Boltenhagen touristisch sehr interessant und da sind zu Wendezeiten ganz bestimmt einige Millionen geflossen, um das alles auf ein Niveau zu bringen, das wir Menschen aus dem Westen gewohnt waren. Wer will schon den Charme des Sozialismus sehen, wenn er in der Sonne brutzeln und in der Ostsee baden möchte?

Wir sind irgendwann mal für ein paar Tage in Kühlungsborn gewesen und alles was ansatzweise in Strandnähe war, war entweder ein Hotel oder eines von gefühlt 5.000 Appartement Wohnbunkern. Für die zahlungskräftigen Gäste gab es auch gern mal eine Villa, die man entweder besaß oder mieten konnte.

Auf der Suche nach unserem Appartement Wohnbunker (sie sahen alle so gleich aus), kamen wir mit einem einheimischen (zumindest vermuteten wir sein Einheimischsein) Gärtner ins Gespräch, der sich um die Beete an den Straßen kümmerte. Er sagte, dass innerhalb von 3km vom Strand landeinwärts kein Einheimischer (er also auch nicht) wohnte, weil überall diese Hotels und Appartements stünden. Was einen natürlich schon etwas bedrückte, aber die Lage unseres Appartements war deswegen ja auch sehr gut. Dadurch hielt sich die Betroffenheit natürlich auch in überschaubaren Grenzen. Es ist ja das übliche Dilemma. Da wo es schön ist, will die Mehrheit der Leute hin und muss auch untergebracht werden. Und je schöner es ist, desto mehr Leute wollen da hin, solange bis es nicht mehr schön ist, weil so viele Leute da sind. Und genaugenommen bin ich natürlich auch einer von diesen Leuten. Was mich auch ein bisschen schockiert. Ich glaube ich muss da irgendwann mal ein ernstes Wort mit mir reden. Aber natürlich nicht im Urlaub.

Ob es in Boltenhagen damals auch so krass war, kann ich nicht sagen, aber es war schon alles sehr malerisch und auf Tourismus getrimmt. Vielleicht war es aber auch schon vor der Wende so, das weiß ich nicht. Mir persönlich hat es sofort gefallen in Boltenhagen und ich glaube es gab auch noch ein paar Ecken, die relativ ursprünglich waren. Was aber mit meinem Problem, wo ich die erste Nacht verbringen würde, rein gar nichts zu tun hatte. Ich verwarf den Gedanken an die Parkbank und überlegte, ob ich mir einen einheimischen Teenager schnappen sollte, ihm 5€ in die Hand drücken würde, damit er mir mein Zelt aufbaut. Oh man, was war nur los mit mir. Früher hatte ich immer liebend gerne gezeltet und ich hätte die ganzen 10 Tage in dem kleinen Iglu verbringen können. Offensichtlich wurde ich alt. Und das ist jetzt bestimmt schon weit über 15 Jahre her. Also 16 oder 19 Jahre oder so.

Aber das Schicksal meinte es sehr gut mit mir und so entdeckte ich in einer Bäckerei einen Aushang, auf dem stand, dass jemand ein Ferienzimmer für sofort anböte. Smartphones gab es noch nicht, aber ich glaube ich hatte schon ein Handy (relativ fortschrittlich für einen alten Mann) und mit dem rief ich die fragliche Nummer von dem Ferienzimmervermieter an. Die Bleibe war extrem günstig, lag aber in einem kleinen Dorf ein paar Kilometer landeinwärts. Was mir aber total egal war, weil ich ja eh nur eine Nacht dort bleiben würde. Und hatte ich noch in Boltenhagen die Ursprünglichkeit der DDR Vergangenheit vermisst, wusste ich nun, wo sie hin war. Ein Blick landeinwärts drehte die Uhren um 35 Jahre zurück.

Ich war in meinem früheren Leben insgesamt dreimal in der DDR und ich hatte noch lebhafte Erinnerungen daran, wie es damals ausgesehen hatte und wie es sich anfühlte. Und in diesem Dorf, unweit von Boltenhagen war auch knapp 20 Jahre nach dem Fall der Mauer die Zeit stehengeblieben. Die Häuser farblos, die Straßen in schlechtem Zustand und alles fühlte sich an, als wäre ich in der Zeit zurückgereist. Man hatte nicht das Gefühl, dass irgendwelche Investoren diesen Ort auf dem Schirm hatten und so ließ man die Leute so leben, wie sie es kannten. Und auch wenn es irgendwie muffig war, hatte es mir ziemlich gut gefallen. Nicht dass ich da hätte leben wollen, aber im Urlaub soll man doch auch mal kennenlernen, wie es woanders ist.

Mein Zimmer war klein, muffig und mit ein paar finsteren Möbeln bestückt. Das Bett war nicht nur gefühlt aus den 60er Jahren und auf einer kleinen, alten Kommode stand ein vorsintflutliches Radio, aus dem aber aktuelle Musik kam. Zumindest wenn man das Kunststück vollbrachte, auf der uralten Skala einen Sender zu finden. Viel mehr Erinnerungen habe ich nicht an das Zimmer. Die Leute waren nett, die Miete sehr günstig und ich habe kaum geschlafen, weil die Matratze entsetzlich weich und die Bettdecke ein unfassbar dickes Ungetüm war, das ich so noch aus meiner frühen Kindheit kannte. Zweieinhalb Kubikmeter Gänsedaunen, die auf einem lagern, sorgen im Sommer nicht gerade für eine Abkühlung. Das alles hatte so einen ursprünglichen Retrocharme, für den man heutzutage wahrscheinlich viel Geld bezahlen würde. Mir hat aber nach dieser einen Nacht, diese Ursprünglichkeit auch schon gereicht. Ein bisschen verwöhnt ist man ja.

Der weitere Aufenthalt war dann aber schon geregelt. Ein paar Tage hier, ein paar Nächte dort, ich weiß nicht mehr sehr viel davon. Nur an eine Wohnung, ein kleines Appartement in einer Art Halbkeller, bei einer Frau Sommer (passender Name für die damalige Jahreszeit). Die Wohnung war nicht hypermodern, aber sehr schön und obwohl sie unterhalb der angrenzenden Erdoberfläche lag, war sie hell und freundlich. Also passte ich mich an und wurde auch so.

Wir verbrachten die Tage damit, dass unsere Tochter ein gut durchgetaktetes Programm hatte, unser Sohn auch mal in einer Art Betreuung war und ich mit dem Hasen hin und wieder Zeit verbrachte. Nach Feierabend bei der Kur und am Wochenende war es wie ein Familienurlaub. Mit allem, was man so haben musste: Schönes Wetter, Baden in der warmen Ostsee inklusive schöner Wellen, Baden in der Sonne inklusive gebräunter und geröteter Haut (nein, ich brauche niemals Sonnenmilch). Es war schön. Die Mahlzeiten nahmen meine drei Mitfamilienmitglieder in dem Kurheim ein und ich schlug mich irgendwie durch. Was nicht besonders schwer war, weil es an jeder Ecke irgendwie immer irgendwas zu Essen gab.

Und so war ich eigentlich auch schon satt, als ich an jenem schicksalhaften Abend ins Kurheim kam, um meine Familie zu besuchen. Es stand nämlich ein Kinoabend auf dem Programm und da konnte auch ein Nichtkurender wie ich mal dabei sein. Ich war recht früh vor Ort und fand meine drei Lieblinge noch beim Abendbrot vor. „Nimm Dir doch auch was zu Essen“, sagte der Hase, „das merkt doch keiner.“ Nun bin ich ja ein sehr folgsamer Mensch und wenn da am Eingang zum Speisesaal steht, dass hier nur jene essen dürften, die auch einen Kuraufenthalt machten, dann war mir klar, dass ich nichts anrühren durfte und es ganz bestimmt nicht machen würde. „Nee, Hase, lass man, das mache ich nicht“, sagte ich, ganz der Feigling, der ich war, „und außerdem bin ich voll satt, denn ich habe gerade gegessen.“ Es gab eine kleine Diskussion darüber mit dem Hasen, die damit endete, dass der Hase mit ein paar Scheiben Brot schmierte und sie mit Alufolie (ich frage mich bis heute noch, wo sie die so plötzlich her hatte? Ist es normal, dass man die gute Melitta Folie in der Handtasche hat?) einwickelte. „Aber Hase, ich brauche doch wirklich nichts“, stöhnte ich auf. „Ach red nicht“, sagte der Hase, „Du hast bestimmt nachher wieder Hunger.“ Eine Argumentation, der ich mich nicht entziehen konnte, denn schließlich hatte ich eigentlich einen permanenten Hunger. Das hat sich bis heute nicht mehr geändert.

Das Abendessen war beendet und wir gingen in den großen, großen Flur, oder die Eingangshalle (ich weiß es nicht mehr genau), die mit gefühlt über hundert Stapelstühlen minderer Qualität, die in Reih und Glied dastanden, gefüllt war. Hier sollte der Film gezeigt werden. „Ab durch die Hecke“, ein animierter Film, der damals im Kino schon gelaufen war, den wir aber alle nicht kannten. Die Stühle waren mit Blickrichtung zu einer großen weißen Wand ausgerichtet, auf der der Film gezeigt wurde. Ob man da nun noch eine Leinwand davor aufgebaut hatte, kann ich auch nicht mehr sagen. Ich weiß nur, dass wir mitten in der Menge der Stühle unsere Plätze einnahmen. Die Stühle waren wackelig und alles andere als bequem.

Und mitten im Film, kam die kriminelle Ader meines Hasen wieder zum Vorschein. Sie kramte in ihrer Handtasche, in der sich neben einem Portemonnaie, Papieren wie Führerschein und Ausweis, einer ausladenden Palette verschiedenster Kosmetikprodukte, Nasenspry, Kopfschmerztabletten, anscheinend auch einer oder mehrerer Rollen Alufolie, einer Telefonzelle und Gott weiß was sonst noch, auch meine geschmuggelten Stullen befanden. Meinen mehrfachen Beteuerungen, dass ich satt sei zum Trotz drückte sie mir die kleinen Pakete mit den Worten: „Nun nimm schon und sei nicht so ein Feigling!“ in die Hand. Dass ich in diesem Moment lieber ein Feigling geblieben wäre, verschwieg ich und war hin und her gerissen zwischen meiner urdeutschen Hörigkeit gegenüber Regeln aller Art und dem aufkeimenden Drang in mir, dieser Hörigkeit zu widerstehen.

Und ich nahm die beiden Päckchen und öffnete das erste und es umgab mich ein Hauch von Piraterie und grenzenloser Freiheit (ich war ein gottverdammter Outlaw), als ich die Alufolie geräuschvoll auswickelte. Natürlich an einer sehr ruhigen Stelle im Film. Und ich konnte im Dunkeln des Saales spüren, wie sich alle Köpfe bewegten und zornige Augen nach dem Unruhestifter suchten, der hier grade mit Alufolie rumknistert und quietscht. „Psst, sei doch leise“, zischte der Hase, “ musst Du jetzt gerade Dein Brot auspacken?“ „Ja aber, Du hast es mir doch extra gerade gegeben“, wagte ich einen schwachen Verteidigungsversuch.

Ich biss herzhaft in das Brot, das ich in meiner linken Hand hielt, während ich in der rechten Hand das zweite Cateringpaket hatte. Obwohl ich ja eigentlich satt war, konnte ich doch feststellen, dass das Brot lecker war und ich biss noch ein zweites Mal ab. Ich saß allerdings etwas unglücklich unbequem auf diesem, an sich schon, unbequemen Stuhl und versuchte durch eine geschickte Gewichtsverlagerung in eine aufrechtere Position zu kommen. Was fatal war. Denn der Stuhl war, wie erwähnt, von minderer Qualität und wackelte schon, wenn man mit den Augen zwinkerte und durch die ungewohnte und heftige Bewegung meinerseits, kam Bewegung in die klapprigen Stuhlbeine. Das Plastik verformte sich bis zu dem Grad, an dem es nicht weiter mit Verformung getan war.

Der Stuhl brach lautstark unter mir zusammen. Mitten in der Menge von genervten Müttern und ihren kurenden Sprösslingen. Ich weiß auch hier nicht mehr alles, was dann passierte. Gefühlt gingen mehrere Flutlichter über mir an und strahlten auf mich, wie ich da am Boden lag. Alle Augen drehten sich zu mir und ich konnte richtig sehen, was alle dachten: „Wenn er zu fett ist, dann muss er ja nicht auch noch Essen aus dem Speisesaal schmuggeln!“ Denn ich lag da auf dem Boden, unter mir die Einzelteile des weißen Stapelstuhls von minderer Qualität und in der linken Hand eine angekaute Stulle und in der rechten Hand ein ominöses Päckchen aus Alufolie. Viele waren entsetzt und manche lachten. Am lautesten mein Hase! Die saß neben mir, kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen und ich musste sie anflehen, damit sie mir meine Brote aus den Händen nahm und ich mit dem kümmerlichen Rest von Würde, der mir geblieben war, aufstehen und mich in das nächstbeste Erdloch verkriechen konnte.

Das Licht im Saal ging an, der Film pausierte, ich klaubte die gröbsten Teile des zerstörten Stapelstuhls von minderer Qualität (hatte ich das eigentlich schon erwähnt) zusammen, da kam man mir seitens des Hauspersonals zu Hilfe (guck mal Hase, so geht das auch). Man nahm den geschrotteten Stuhl, über dessen Qualität ich mich nicht mehr auslassen möchte, und schob einen sehr großen Sessel, der im Foyer stand, lautstarkt zu meinem frei gewordenen Platz, auf dass ich auf ihm Platz nehmen möge. Der sehr große Sessel, der offensichtlich auch für meine Gewichtsklasse geeignet und dessen Qualität weitaus größer als die der Stapelstühle war, entpuppte sich als äußerst gemütlich. Und so saß ich da, in meinem gemütlichen De Luxe Sessel, während mich die Mehrzahl der Mütter auf ihren Stapelstühlen feinselig anfunkelte. Ich verzichtete darauf ihnen zu sagen, dass die Qualität ihrer Stühle eine mindere war, ich glaube man hätte es mir übel genommen und sah mir den Film an, während ich mein zweites Futterpaket lautstark öffnete.

Ich glaube man war in diesen Momenten kurz davor mich zu teeren und zu federn, oder zumindest ein bisschen zu lynchen. Der Hase lachte den Rest des Films noch und auch an den Tagen danach musste sie immer losprusten, wenn ein Stuhl von minderer Qualität in der Nähe war. Ein paar Tage später fuhr ich nach Hause. Der Hase und die Kinder blieben noch knapp zwei Wochen und seit diesen traumatischen Erlebnissen, sehe ich mir immer erst die Stühle an, auf denen ich sitzen soll, wenn ich mal irgendwo bin. Bei minderer Qualität des Sitzmöbels ist ein Stehtisch doch auch ganz nett.