Ankunft und Prost und Mahlzeit, oder die Stippvisite des verlorenen Sohnes

Ich weiß nicht, wie bibelfest meine kleine Leserschaft ist, aber vielleicht kennt ja der ein oder andere das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Darin geht es, grob gesagt, um einen Sohn, der seine Heimat verlässt und bei dessen Rückkehr der Vater eine dicke Party schmeißt und extra ein ganz besonderer Ochse dafür geschlachtet wird. Was lernen wir daraus? Rückkehr ist schlecht für Ochsen.

Wie dem auch sei. Wir haben auch einen Sohn, der in der Fremde lebt und für zwei Wochen im Sommer war er dann auf Stippvisite bei uns. Es waren intensive zwei Wochen mit einer Gefühlsachterbahn und einem vollen Programm, das auch locker für vier Wochen gereicht hätte. Einen Ochsen haben wir nicht geschlachtet, aber es gab zu Essen, und das nicht zu knapp. Am Ende der kurzen aber intensiven Zeit waren wir alle erschöpft, glücklich und traurig zugleich und vor allem satt. Sehr satt!………..

Wie schnell doch Tage verfliegen können. Gerade erst hatten wir unseren Sohn tränenreich am Bremer Flughafen verabschiedet, weil er nach Toronto auswandern wollte. Und nun, schwupps, waren auch wieder gut vier Monate vergangen und wir stehen am Bremer Flughafen, um ihn für einen zweiwöchigen Heimaturlaub abzuholen. Er landet um 13 Uhr und der Hase und ich sind pünktlich vor Ort, um den Fremdgänger, ebenso tränenreich wie beim Abschied, wieder in die Arme schließen zu können. Unsere Tochter muss arbeiten, wäre aber sonst auch gerne bei der Begrüßung dabei gewesen.

Doch neben aller Aufregung bleibt auch ein bisschen Organisatorisches, was uns beschäftigt. Essen wir beide vorher? Er wird bestimmt recht hungrig sein, nach der langen Reise. Und wenn er dann alleine äße, wäre das ja auch irgendwie blöde. Also lassen wir unser Mittagessen ausfallen und beschließen, dass wir mit ihm bei Mc Donalds gesund (es gibt ja schließlich Salat auf dem Big Mac) amerikanisch speisen wollen. Und weil mein Hase ja mein Hase ist, hat sie auch herausgefunden, dass am Bremer Flughafen ein MC Donalds ist, der über eigene Parkplätze verfügt und die Gebühr dafür bekommt man wieder, wenn man dort etwas isst. Mein Hase kann es spürbar wittern, wenn irgendwo ein Preisnachlass oder etwas in der Art winkt. Da richten sich sinnbildlich die Hasenohren wie Antennen auf und das Schnäppchen wird gefunden.

Der Parkplatz ist super. Man ist sehr dicht am Terminal. Obwohl man das beim Bremer Flughafen grundsätzlich ist. Er ist halt nicht sehr groß, der Bremer Flughafen und mir gefällt das außerordentlich. Jedenfalls sind wir schnell im Gebäude und gefühlt zweieinhalb Minuten nach der Landung steht er doch tatsächlich vor uns: unser Sohn. Während der Hase ihm vor lauter Gefühlschaos beim Begrüßen beinahe den Brustkorb zerquetscht, teilt sie ihm in zweieinhalb Nebensätzen mit, wie die erste Planung aussieht und dass wir mit ihm gleich bei Mäcces essen wollen. Eile ist geboten, denn der Parkplatz ist zeitlich begrenzt und wer weiß, wie groß die Schlange im Burgerbräter unseres Vertrauens ist.

Er habe schon gegessen, sagt unser Sohn. Man habe ihm auf dem langen Flug mehrere Mahlzeiten und ein paar Snacks gereicht. „Eigentlich bin ich satt“, sagt er. „Aber wir haben noch nichts gegessen“, erwidert der Hase und unausgesprochen, nur durch Blicke mitgeteilt, bleibt: „Es ist nicht wegen mir, aber dein Vater hat Hunger. Und du weißt, wie er ist, wenn er nicht isst.“ „Ja, das wollen wir nicht riskieren“, sagt unser Soh,n mit einem Anflug von Angst und Verzweiflung in den Blicken, zurück. Ich fühle mich natürlich ein bisschen falsch dargestellt, zumal ich eigentlich gar keinen großen Hunger habe, verzichte aber darauf es richtig zu stellen.

Wir also mit Sohnemann und dessen Gepäck hin zum Auto und dann rein zum Mc Donalds. Die beiden, also Hase und Sohn, erinnern sich an ihre Kernkompetenzen in diesem Etablissement und forsten ihre jeweiligen Apps nach Angeboten und günstigen Menüs durch. Mir ist das alles wieder zu hoch und ich lasse die beiden machen. Sie haben ja Vergnügen daran. Hin und wieder (so gefühlt 17 Mal) muss ich sagen, was ich eigentlich essen möchte. Ich bin da sehr einfach gestrickt und sage, was ich essen würde und was halt nicht.

Das deckt sich nicht zwingend mit allen Gutscheincodes, die es momentan gibt und nein, ich möchte keine Chicken Mc Nuggets. Und auch nicht in der pflanzlichen Version. Welche Pflanze schmeckt schon wie ein Huhn? Abgesehen davon, dass ich die Dinger sowieso nicht mag und deswegen keine möchte.

„Also möchtest du jetzt einen Big Mac und Nuggets?“, fragt der Hase. Ich scheine mich unklar ausgedrückt zu haben. „Nee, ich mag keine Nuggets“ „Aber die sind bei den meisten Menüs dabei“, sagt der Hase. „Deswegen werden sie aber nicht leckerer“, sage ich. „Du weißt auch gar nicht so recht, was du möchtest.“ „Doch.“ “ Was denn?“ „Na keine Nuggets jedenfalls“, sage ich und überlege, ob geschreddertes Huhn nun so viel schlechter ist, als Rind, das durch den Fleischwolf gedreht wurde. Am Ende der kleinen Gesprächsrunde wird eine gewisse Schnittmenge zwischen dem Hasen und mir generiert, damit es ansatzweise hinkommt, mit der Auswahl der Speisen.

Die Bestellungen gehen unterschiedlich raus. Der Hase und der Sohn machen das irgendwie übers Handy und ich bekomme eine Extrawurst bei der Bezahlung, die ich mit meiner Bankkarte mache. Wobei eine echte Wurst nun auch nicht übel wäre. Aber die gibt es hier nicht und ich beschließe den Manager nicht auf diese eklatante Lücke in seinem Angebot hinzuweisen.

Es endet damit, dass unser Sohn eigentlich keinen Hunger hat, aber trotzdem gut isst, ich eigentlich auch keinen Hunger habe, aber trotzdem nicht nur mein Menü, sondern auch zu Teilen das des Hasens esse. Denn der Hase ist so überwältigt davon, dass der der Sohn da ist, dass sie eigentlich auch keinen Hunger hat. Und wie damals, als die Kinder klein waren, bleibt es wieder an mir hängen, das Überbleibsel (ein recht Großes, will ich mal meinen) zu essen. Da zeigt es sich doch mal wieder deutlich: Es ist nicht meine Schuld, dass ich so aussehe, wie ich aussehe. Ich bin ein Opfer der Umstände. oder ein Victim of Circumstances, wie es im Englischen heißt. Schließlich ist unser Sohn nun international, da kann man auch schonmal mit seinen Englischkenntnissen prahlen .

Ich atme schwer, als wir ins Auto steigen und wir fahren nach Hause. Der Hase und ich vorn und hinten der Sohn. Es ist ein bisschen eigentümlich. Mir ist schon klar, dass er über 100 Tage nicht da war, aber irgendwie ist es so, als wäre er im Februar nicht in dieses Flugzeug gestiegen. Natürlich fühlt es sich ein bisschen fremd an, aber das Vertraute überwiegt dann doch übermäßig.

Wir kommen zu Hause an, gehen ins Wohnzimmer, der Hase und unser Sohn erobern das Sofa, während ich auf meinem Ohrensessel (mit Fußhocker) Platz nehme. Und unser Sohn redet wie ein Wasserfall von seinem langen Flug. Davon, dass es dunkel war im Flieger und er gerne etwas schlafen wollte, als eine Frau neben ihm ihr Handy mit höchster Helligkeitsstufe anschaltete und er sich gefühlt hatte wie auf dem Fußballplatz mit Flutlicht. Schlafen war also Essig. Er sei nun schon fast 30 Stunden wach, sagt er. Und ich sitze im Sessel und mir fallen die Augen zu und der Mund öffnet sich. Nur mit Mühe kann ich ein Schnarchen unterdrücken. „Und ich bin erstaunt darüber, wie wenig müde ich eigentlich bin“, sagt der Sohn. Und dem Hasen fallen die Augen zu und der Mund öffnet sich und nur mit Mühe kann sie ein Schnarchen unterdrüclen.

Was für ein erster Eindruck. Da jettet er um die halbe Welt, ist seit weit mehr als 24 Stunden wach und was machen Mutti und Vati? Die pennen ein, wenn er erzählt. So möchte man begrüßt werden. Zu unserer Verteidigung kann ich nur sagen, dass wir natürlich auch sehr aufgeregt waren in den letzten Tagen und deswegen haben wir auch nicht immer gut geschlafen. Gerade letzte Nacht, hatten wir einige Zeit damit verbracht, über dieses Internet, dass es ja überall gibt, seinen Flug mit einer Art Radar zu verfolgen. Man möchte ja schon wissen, ob alles gut ist soweit.

Er redet wie ein Wasserfall, ach das sagte ich ja schon, und die Augen des Hasen und auch die meinen, hängen tief in ihren Höhlen. Ist schon anstrengend so ein langer Flug. Allein schon, wenn man davon hört. Das saugt einem so richtig die Energie aus.

Trotz unser offenkundigen Erschöpfung raffen wir uns beide wieder auf und schaffen es doch glatt ein Gespräch zu führen, mit diesem jungen Mann, der so unvermittelt in unserem Wohnzimmer sitzt. Wer war das nochmal? Ach ja, der Sohn, der verlorene. Die Eigentümlichkeit, dass das alles zeitgleich fremd und doch so unfassbar schön vertraut ist, besteht auch hier und fühlt sich ein bisschen seltsam an. Aber ich möchte um nichts auf der Welt darauf verzichten. Es ist schön, dass er da ist und damit basta!

Seine Schwester, die zufällig unsere Tochter ist, möchte selbstredend auch zu uns stoßen und wird mit ihrem Freund zum Abendbrot vorbei kommen. Zum Thema Abendbrot, hmmh, da war ja noch was. Es ist jetzt nicht so, dass wir drei hungrig wären. Schließlich haben wir recht spät ein paar Burger in uns gestopft und sie mit Pommes und Cola garniert. War irgendwie etwas anders geplant, wobei ich nicht genau weiß, wie. Selbst ich bin irgendwie satt. Aber unsere Tochter und ihr Freund nicht. Die beiden hatten schließlich gearbeitet und sich nicht im Fastfood Tempel rumgetrieben.

Ursprünglich war geplant, dass die beiden aus einem Baguette Laden unseres Vertrauens Baguettes (was sonst) mitbringen würden und wir gemeinsam äßen. Und weil der Plan eigentlich gut ist und weil die Baguettes da so lecker sind und weil es doch immer schön ist, gemeinsam zu essen, bleibt es dabei. Und so sitzen wir gemütliche beisammen, Mutti und Vati (also Hase und ich) sind auch wieder ausgeschlafen und wir reden munter miteinander. Es ist schön. Es ist diese Art von Familienleben, die wir für so lange Zeit miteinander hatten und die uns etwas abhanden gekommen ist. Natürlich ist das alles zeitlich begrenzt, aber wenn man es mal genau betrachtet, ist doch alles im Leben nicht von Dauer.

Es wird nicht sehr spät an diesem Abend. Tochter und Freund müssen morgen wieder arbeiten und beim Sohn kommt so langsam die Tatsache zum Tragen, dass er eigentlich schon fast anderthalb Tage wach ist. Es gibt einen kleinen Stau beim Zähneputzen, schließlich sind wir wieder zu dritt, aber auch das ist eigentlich eher schön. Ich bin halt ein Nostalgiker. Der Hase und unser Sohn blödeln noch ein bisschen miteinander rum. Das haben sie schon jahrelang als Ritual vorm Einschlafen gemacht und es hat dem Hasen sehr gefehlt. Ich war als Blödelpartner nur ein unzureichender Ersatz.

Und dann ist Ruhe. Der Sohn liegt in seinem Bett, der Hase und ich in unserem. Es war ein schöner Tag. Nur der Magen rebelliert ein wenig. Ein bisschen grunzend mache ich mich auf die Suche nach einem Mittel gegen Sodbrennen. Kann mir gar nicht erklären, warum ich das jetzt brauche. Ich liege noch ein wenig wach und denke darüber nach, was so passiert ist, in den paar Stunden, die wir wieder zusammen sind: Eigentlich nichts und doch alles. Das kann noch sehr schön werden, wenn es so weiter geht. Vorsichtshalber nehme ich die Batterien aus unserer Personenwaage. Ich möchte gar nicht wissen, was die zu sagen hat.