22.10. Der Tag vor dem D (Daus) -Day
Oha, das gibt Mecker! Meine Hase wird mich umbringen . Und das obwohl ich ja so gar keine Schuld habe. Der Hase ist im Normalfall ein friedliebender Möhrennager. Aber was der Hase überhaupt nicht leiden kann ist, wenn etwas nicht so läuft, wie geplant. Und so weiß ich in diesem Moment, dass ich all meine Qualitäten als Ruhepol brauchen werde, damit der Hase nicht an die Decke gehen wird, wenn ich heute nach Hause komme. Denn, und das sollte man zur Vollständigkeit wissen, der Hase ist als solcher auch ein Schwarzseher erster Kajüte. Und damit meine ich nicht, dass sie die GEZ um die Einnahmen prellt. Nein, sie neigt zum ausgewachsenen Pessimismus. Besonders dann, wenn etwas nicht so klappt, wie es geplant ist. Und mein Hase ist ein großer Fan davon, etwas zu planen, oder zumindest das beruhigende Wissen zu haben, dass etwas geplant ist.
Wie zum Beispiel der endgültige Umzug unserer Tochter, der morgen in seine entscheidende Phase treten wird. Und hier bin ich wieder als ausführendes Organ gefragt. Schon einige Tage vorher habe ich beispielsweise alles an Werkzeug zusammengesucht, was auch nur im Entferntesten mit dem Aufbau der Möbel und allem anderen zu tun haben könnte. Es hat gedauert, aber ich habe schließlich jede Menge gefunden. Relikte einer vergangenen Zeit, als ich noch ein Handwerker war und wusste, was man mit dem ganzen Kram anfangen kann. Dazu kam ein Großeinkauf im Baumarkt und dann war eigentlich alles in Tüten. Denn auch den Transporter hatte ich schon seit langer Zeit für morgen reserviert. Nicht auszudenken wenn da etwas schief liefe. Denn schließlich haben der Hase, Junior und ich uns alle frei genommen, um vier Tage lang diesen Umzug über die Bühne zu bringen. Deshalb habe ich vor Wochen (was für mich schon eine astronomische Dimension ist) den Wagen für den 23. Oktober gebucht. Mehr geht einfach nicht. Also bin ich, den Umständen entsprechend einigermaßen entspannt an diesem Nachmittag.
Zumindest, bis mich die Frage ereilt, zu wann am 24. ich denn diesen Transporter, den ich so unschlagbar günstig leihen kann, brauchen werde. Ich beginne zu rechnen. Wenn heute also der 22. ist, dann ist der 24. …., irgendwie überkommt mich eine ungute Vorahnung. Wenn also heute der 24. ist. Äh nein, heute ist ja der 22., also Donnerstag. Also wenn heute Donnerstag ist, dann ist morgen Freitag. Hmh, ja das stimmt. Also alles in Ordnung. Aber irgendwie ist da doch was faul. Also noch einmal gerechnet. Der 22. ist heute. Dann ist der 24. übermorgen. Ach Du scheiße! Ich brauche den Wagen am 23. Also sage ich: „Ich brauche den Wagen, aber am 23!“ Mein Gegenüber wird etwas bleich: „Oh, das ist schwierig.“ „Wie meinst Du das?“, frage ich und meine Beine werden weich. „Naja, der Wagen ist gerade in Bayern!“ Meine Geographiekenntnisse reichen aus, um mir zu sagen, dass das ganz schön weit weg ist und da es gerade 14 Uhr ist, wird es zumindest unwahrscheinlich, dass der Transporter bis Feierabend (also 16.45 Uhr) wieder an der Burg ist.
„Oha, das gibt Mecker“, denke ich. Mein Hase wird mich umbringen. „Ich kümmere mich“, sagt mein Gegenüber und strahlt so viel Hoffnung aus, wie Angela Merkel bei der Verkündung vom ersten Lockdown. Ich bin beunruhigt. Zumindest ein bisschen. Und ich ändere meine ursprüngliche Planung. Eigentlich war die in etwa so: Feierabend, nach Hause, äh, nach Hause mit dem Transporter, alles einladen, was hier noch einzuladen ist, mein von mir begeisterter Hase bereitet mir ein Abendessen und wir gehen früh und friedlich schlafen. So der ursprüngliche Plan. Aber jetzt ist alles anders. Heimkommen, ohne den Wagen, nix mit einladen, nix mit begeisterter Hase und das Abendessen bleibt mir im Hals stecken und ich kann nicht schlafen. Meine Betriebstemperatur steigt und mein unregelmäßiger Herzschlag befindet sich in oberen Frequenzbereichen. Und das Schlimme ist, ich kann einfach nichts dran ändern. Ein Opfer der Umstände und ich sehe die Hasenzähne vor mir, die sich in meinen Hals bohren werden.
Zum Feierabend kommt eine Nachricht, die mich ein bisschen aufhorchen lässt. Die junge Dame, die den Transporter aktuell geliehen hat, wird gegen 18 Uhr in Bayern losfahren und den Wagen dann nachts abstellen. Uff, das ist wenigstens etwas, womit ich arbeiten kann. Ich fahre nach Hause und der Hase wundert sich, wo denn der Transporter ist. Mit knappen Worten erkläre ich die Sachlage. „Bayern?“, fragt der Hase, um es noch einmal laut zu wiederholen: „Baaaayyyyyeeeeeerrrrnnnn?“ ……wusste gar nicht, wie lang man zwei Silben aussprechen kann. „Hmm, ja“, sage ich und kratze verlegen an meinem Ohr. Und da ist er wieder. Der Moment, in dem mein Hase in kürzester Zeit dreihundertmal „Scheiße“ sagt und dabei pfotenschwingend auf- und ab geht. Das letzte mal habe ich sie seinerzeit in der Türkei so erlebt, als wir unseren kotzenden Sohn für die Rückreise aufpäppeln mussten. Aber das ist eine andere Geschichte (siehe „Einmal Halbmond und zurück“).
Wir können uns zumindest darauf einigen, dass ich an diesem Szenario mal so gar keine Schuld habe, aber irgendwie macht der Hase mir trotzdem ein paar versteckte Vorwürfe. „Und was machen wir, wenn das Ding morgen früh nicht da ist?“, fragt der Hase. Hmmh, gute Frage. „Na wir beladen ihn und steigen ein“, sage ich und will damit verdeutlichen, dass mein Optimismus grenzenlos ist. Was er im Allgemeinen auch wirklich ist. Aber diesmal habe ich ein paar Zweifel. Die Frau muss nun die ganze Nacht durch fast ganz Deutschland fahren. Das ist nicht von Pappe. Was, wenn sie müde wird und auf einem Parkplatz erstmal drei Stunden schlafen muss? Was, wenn der Wagen verreckt? Oder wenn ein Unfall passiert? Oh man, ich denke schon wie der Hase. So geht das nicht weiter. Wir diskutieren noch ein paar Stunden über eventuelle Ausweichmöglichkeiten. Aber es ist weit und breit kein anderer Transporter mietbar und mit einem Anhänger brauchen wir gar nicht erst anfangen. Der müsste richtig groß sein und außerdem, als kleines unbedeutendes Problem am Rande, haben wir keine Anhängerkupplung. Es hilft nichts, wir sind auf diesen Transporter, der gerade irgendwo über die Autobahn schruppt, angewiesen.
Ich schlafe schlecht. Mein Kopf ist eine Mischung aus Kettenkarussell und „Wilde Maus“. Wobei mir eine „Wilde Daus“ lieber gewesen wäre. Alles was recht ist, aber ich bin zutiefst beunruhigt und mein Optimismus ist kleiner als ein Reiskorn. Der Hase schläft schlecht und im Halbschlaf erwürgt sie denjenigen, der für das Desaster verantwortlich ist. Stellvertretend dafür legen sich ihre Hände um ihr Seitenschläferkissen, mit dem ich im Moment nicht tauschen möchte. Unsere Tochter schläft erstens in ihrer WG in Münster und zweitens auch schlecht. Sie macht sich Sorgen. Sorgen darüber, ob alles glatt gehen wird. Um 3.11 Uhr gebe ich dem Harndrang nach (ältere Männer machen so etwas in der Nacht häufiger) und liege danach wach. Um 3.22 Uhr erreicht mich eine Whatsapp: „Der Wagen ist wieder da!“ Der Hase, obwohl sie eigentlich schläft, liest gerade meine Gedanken. Ein bisschen gruselig, aber sie kennt mich halt so gut. Und der Hase schläft eigentlich nie. Also nicht so ganz tief. Zumindest nicht dann, wenn sie sich Sorgen macht. Und heute macht sie sich jede Menge Sorgen. „Na Gott sei Dank“, sagt der Hase, irgendwie aus dem Nichts heraus und schläft sofort weiter.
23.10. der erste Tag der Tage
Um sechs Uhr, also noch vor dem eigentlichen Aufwachen, bin ich unterwegs, den Wagen holen. Und ein paar Brötchen, die der Hase schmieren will, damit wir mittags irgendwas zu essen haben. Der Plan ist ebenso einfach, wie brillant. Wir laden den Krempel der Tochter, der noch hier ist (unter anderem ein 44 Zoll Flachbildfernseher) in den Wagen, frühstücken und fahren dann los. Ich stehe vor großen Herausforderungen, denn eigentlich bin ich der Einzige, der den Wagen fahren kann. Oder besser, der sich traut den Wagen zu fahren. Oder besser, der Einzige, dem ich zutraue, den Wagen zu fahren. Es reißt sich sonst allerdings auch Niemand darum. Unsere Fahrt führt uns zunächst nach Münster. Dort sammeln wir unsere Tochter und ein paar andere Sachen ein, beladen den Wagen und fahren dann von da aus nach Bad Ems. Bis Münster sind es rund zwei Stunden. Und ich habe schlecht geschlafen und musste früh aufstehen. Deswegen kämpfe ich von vornherein gegen eine mögliche Müdigkeit an. Da ich keine Drogen nehme, suche ich mein Heil in der Koffeinzufuhr. Und da ich keinen Kaffee trinke und auch mit diesen Energydrinks rein gar nichts anfangen kann, gibt´s von nun an erstmal jede Menge Cola.
Wir erreichen Münster in einem einigermaßen erträglichen Zeitrahmen. Auch die Sache mit dem Transporter in Bayern hat sich am Ende nicht so wirklich schlecht ausgewirkt. Also alles in Ordnung soweit. In Münster müssen wir unsere Tochter begrüßen und ein paar Sachen aus ihrem WG Zimmer mitnehmen, zusätzlich zur Tochter. Ein paar Regale, einen Schreibtisch, der allerdings auseinandergebaut ist, einen Bürostuhl, ein Bett, das auch auseinandergebaut ist, ein Fahrrad und ein bisschen Krimskrams. Kann so schlimm nicht werden, denke ich und wir beginnen sofort mit dem Beladen. Wieder einmal kann ich mein Tetristalent ausleben und ergötze mich daran, dass geometrische Formen ineinander greifen und sich die Ladefläche stetig füllt. Die anderen Drei tragen unentwegt den ganzen Krimskrams zum Wagen. „Was zum Henker holen die noch aus diesem einen Zimmer?“, denke ich, als der Hase einen auf Pessimist macht.
„Wir müssen stoppen! Das passt da nie alles rein!“, sagt sie und ich ignoriere diese Bedenken. Denn in solchen Sachen bin ich einfach besser und habe immer Recht! Ein Irrtum ist ausgeschlossen. „Was Du immer hast“, sage ich und stopfe gerade das eine Seitenteil des Bettes in den Transporter. Wobei ich einen alten Bettbezug, der zum Schutz über die Matratze gezogen wurde, der Länge nach aufschlitze. Eine milde Form der Panik überkommt mich. Nicht, dass ich plötzlich Unrecht haben könnte, aber ich habe mir von Anfang an nicht bis ins letzte Detail ausmalen können, ob das alles wirklich passen wird. Es ist schwierig, wenn nicht alles auf einem Haufen liegt, sondern an zwei Orten. Da fehlt der Gesamteindruck. Also wenn ich ehrlich bin, könnte der Hase wirklich Recht haben. Dies eine Mal zumindest. Das beunruhigt mich. Ich muss mir ansehen, was da noch alles im Zimmer ist.
Es ist unfassbar, was eine einzelne Person alles besitzen kann. Das Zimmer steht immer noch irgendwie voll und der Wagen ist auch irgendwie noch voller. Da geht nichts mehr rein. Eine der unumstößlichen Grundregeln bei einem Umzug lautet: „Irgendwas geht immer schief.“ Eine andere Grundregel: „Ein fast leeres Zimmer ist eigentlich ein fast volles Zimmer!“ Leer ist dann wenn nichts mehr drin ist. Und wir sind weit entfernt von leer. Leer ist im Moment nur mein Kopf. Wenn man jetzt in eines meiner Ohren blicken würde, könnte man durch das andere Ohr den Lichteinfall sehen. „Das passt niemals“, sagt der Hase schrill und ist ganz kurz davor auf- und ab zu gehen und dabei 312 Mal „Scheiße“ zu sagen. Es ist auch ein bisschen viel Aufregung. Erst das mit dem Transporter und nun dieses große Problem.
Während der Hase eine Reihe von Verwünschungen loslässt macht sie eine weitere Reihe an unvernünftigen Vorschlägen : „Wir müssen einen anderen Transporter zusätzlich mieten!“ Ich zähle ein paar Argumente auf, die dagegen sprechen: 1. Zu teuer. 2.Wo will man den auf die Schnelle herkriegen? 3. Wer soll den fahren? 4. Bis man das alles auf die Reihe kriegen würde, wären selbst im günstigsten Fall zwei bis drei Stunden vergangen. Der Hase kann eben kein Krisenmanagement.
Ich hingegen bleibe auch in solchen Extremsituationen sachlich und betrachte erst einmal die Sachlage analytisch, um dann zu fundierten Ergebnissen zu kommen. Die Lage ist wirklich nicht günstig. Wir kriegen nichts mehr mit und bis nach Bad Ems sind es von hier aus noch einmal drei Stunden Fahrt. Noch einmal zu fahren ist also eine ungünstige Option. Also suche ich nach möglichen Alternativen. Wir sind zu viert. Das heißt, wir sitzen zu dritt vorn und der Hase auf einem Einzelsitz hinten. Wenn dieser Sitz raus könnte, dann würden wir Platz schaffen. Müsste also jemand hier bleiben und dann zu Fuß, oder mit der Bahn hinterher fahren, oder trampen. Hmmh, gefällt mir auch nicht wirklich. Schließlich wäre der Sitz noch immer hier. Wie also kriegen wir alle Leute und alle Sachen mit? Hmmh, ich habe ja noch einen Spanngurt mit. „Wenn also einer von uns, oder besser noch mehrere von uns, sich auf das Dach legen würden…..“ „Bist Du bescheuert?“, unterbricht mich der Hase. „……müsste nur einer den Fernseher halten“, ergänze ich unbeirrt. Ja, ich habe immer sachliche und vernünftige Alternativen. Oder um es mit der Band Tocotronic zu sagen: „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht so weit.“
Überraschenderweise kann sich dieser Vorschlag nicht durchsetzen. Wir beißen in den sauren Apfel und beenden das Beladen. Es führt kein Weg drumrum, wir müssen zweimal die Strecke Münster Bad Ems (Hin und zurück) fahren. Der Hase ist verzweifelt. Ich ärgere mich. So sehr ich es liebe, wenn alles klappt, so sehr hasse ich es wenn es das nicht tut. Aber es ist nicht zu ändern. Bevor wir nun noch lange Trübsal blasen, fahren wir los. In meinem Kopf rattert es. Wenn man jetzt in das eine Ohr blickt, sieht man den Hamster, der sein Rad auf Hochtouren bringt. Ich erarbeite einen neuen Plan. Der alte ist ja nun für die Katz. Die Kinder sind gut drauf, ich kaue auf meiner Unterlippe und der Hase weint. Und das ist die nächste Gesetzmäßigkeit: Kein Umzug, ohne dass der Hase heult.
Werden die Hasentränen trocknen? Kriegen wir beim zweiten Anlauf alles aus Münster mit? Und was ist die Matrix? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt´s in der nächsten Folge von : Achtung, jetzt kommt ein Karton