Ich weiß nicht, wie oft man an einem Wochenende das Wort „Scheiße“ sagen kann, aber ich bin mir sicher, dass wir auf dem besten Weg sind, hier neue Rekorde aufzustellen. Die unsanfte Landung des Spiegels und die damit verbundene unwiederbringliche Veränderung seiner Oberflächenstruktur, sorgen jedenfalls für ein paar Einträge mehr auf der „Scheiße Strichliste“ für diesen Umzug. Das Ding ist hin und nicht mehr zu nutzen. Die Anordnung der Risslinien sorgt dafür, dass sogar ich schlank aussehe. Ein Effekt, der nur mir gefällt. „Müssen wir Dir neu kaufen“, sage ich und bekomme ein wenig Angst, denn das ist ein Ikea Spiegel. Unsere Tochter sieht das eher gelassen und behauptet, sie würde auch ohne Spiegel, klarkommen. Was ich bezweifle, denn schließlich ist sie eine Frau und mir ist noch keine Frau untergekommen, die nicht einen letzten prüfenden Blick in den Ganzkörperspiegel wirft, bevor sie das Haus verlässt. Männer sind da anders. Ein flüchtiger Geruchstest unter den Achseln ist mitunter das höchste der Gefühle, wenn es um eine Kontrolle des eigenen Erscheinungsbildes geht. Die Fausformel lautet: Solange die Augen nicht tränen, reicht ein Deoroller. Waschen nur im Notfall, oder bei Insektenbefall. Die reine Optik hingegen ist eher zweitrangig, da muss man keinen Spiegel haben.
Die Nachmieterin für das Zimmer ist aufgetaucht. Sehr jung die Gute. Ich würde mal schätzen, dass sie gerade 19 oder 20 ist. Sie ist total unbedarft und ebenso total entspannt. Ist mit einem alten Golf von Hamburg nach Münster gefahren, um die ersten Sachen und ne Matratze in ihr neues WG Zimmer zu räumen. Einen Kleiderschrank hat sie ja schon. Den hat sie von unserer Tochter übernommen. Den Rest hat sie in ihren VW gepackt, welcher bis unters Dach vollgetopft ist. Sie ist allein hier. Und während sie ihre Sachen schon mal nach oben bringt, tragen wir unser Zeug nach unten und ich kille den Spiegel. Irgendwann begegne ich ihr unten und frage höflicherweise, ob ich nicht auch ein paar Dinge für sie mit nach oben nehmen solle. Was sie total nett findet und mir wieder einen kleinen Heiligenschein einbringt.
„Kannst Du vielleicht das Vorderrad an meinem Fahrrad wieder anbauen?“, fragt sie mich. Offensichtlich hat sie da sogar noch ein Fahrrad in dem kleinen Golf, der dermaßen gut bepackt ist, dass ich ein bisschen neidisch werde. Und um es mitzubekommen, hat sie das Vorderrad vom Fahrrad extra im Wagen liegen. Und nun fragt sie ausgerechnet mich, ob ich ihr das Ding wieder zusammenbaue. Mich fragt sie! Ausgerechnet mich! Unter normalen Umständen kann ich eigentlich niemandem irgendetwas abschlagen. Aber gerade heute ist das eher schlecht. Mir sitzt die Zeit im Nacken und ich möchte so schnell wie möglich hier wieder weg und zurück nach Bad Ems. Außerdem habe ich nur noch die Matrix im Kopf und fühle mich derart zerstreut, dass ich womöglich das Vorderrad auch hinten angebaut hätte. Sie ist ohne meine Hilfe in dieser Sache definitiv besser dran. Ich verneine die Anfrage, trage dafür aber ein paar Sachen mit nach oben. Das lässt mich wenigstens nur halbwegs unhöflich erscheinen. Ich begründe meine Absage nicht weiter und sie fragt auch nicht nach. Sie freut sich, dass sie wenigstens einmal weniger laufen muss. Ich persönlich habe allerdings das Gefühl, hier nur nach Ausreden gesucht zu haben, weil ich eigentlich keinen Bock darauf hatte, dieses Vorderrad anzuschrauben. Mein Heiligenschein wirkt nun etwas scheinheilig.
Die Übergabe des WG Zimmers ist geanauso unkompliziert wie meine Tochter und augenscheinlich ihre Nachmieterin, die sich noch jemanden suchen möchte, der ihr das Fahrrad zusammenbaut. Leicht beschämt starte ich den Transporter und wir fahren wieder die knapp drei Stunden nach Bad Ems. Ein wenig erleichtert, weil wir das Kapitel Münster nun abschließen können. Ein wenig beunruhigt, weil mir klar ist, dass wir noch irgendwann zu Ikea müssen, bevor wir am Montag wieder nach Hause fahren. Unterdessen wird in Bad Ems die Fertigstellung der Garderobe nach nicht einmal zwei Stunden mit ein paar Albernheiten gefeiert und nach der nächsten Aufgabe gesucht. Das nächste Opfer ist eine Kommode. Auch von Ikea. Vom Aufbau ungleich schwieriger als die Garderobe, ist sie schon richtig anspruchsvoll und die heute neu gegründete Möbelaufbaukolonne kommt zu der großen Erkenntnis, dass es einfach lange dauert, bis man mit so einem Ding fertig ist. Die nächste Konstante im Möbelbau. Schnell gibt es nicht. Auch einfach ist kompliziert und zeitraubend.
Derweil sind wir anderen beiden auf der Autobahn und mich beschäftigt die Küche in meinen Gedanken. Besonders die Wasserversorgung der Spüle. Denn auch wenn ich von Klempnerei so gar keine Ahnung habe, weiß ich doch, dass immer zwei von diesen komischen Wasserhähnen aus der Wand kommen. Diese komischen Wasserhähne, an die man dann den eigentlichen Wasserhahn vom Becken anschließt. Da ich nicht wusste, wie die Dinger heißen, hat Google mir gesagt, dass es sich dabei um Eckventile handelt. Einer von denen ist für Kaltwasser und einer für Warmwasser. Das habe ich mir selbst gedanklich erschlossen. Das Problem in diesem Fall ist, dass es in der Küche keine zwei davon gibt. „Ich glaube, wir haben da kein Warmwasser“, sage ich. „Aber da kommt doch so ein komischer Wasserhahn aus der Wand“, sagt die Tochter. „Eckventil“, korrigiere ich, „es heißt Eckventil.“ Ich prahle mit dem Wissen, dass ich seit Neuestem habe und ergänze: „Genau das ist das Problem. Es ist nur ein Eckventil vorhanden und wenn ich das richtig einschätze, ist das nur für Kaltwasser.“ Wir überlegen, ob da beides, also warm und kalt, rauskommt und ich kann förmlich hören, wie sich die gesamte Klempnerinnung totlacht. Wie gesagt, ich bin ein lausiger Klempner.
Die Fahrt läuft störungsfrei und auch ohne Polizeiaktion. Wir erreichen Bad Ems in bester Zeit und es macht mich stutzig. Es ist ein ungewohntes Gefühl, wenn mal irgendwas klappt. Ein Hoffnungsschimmer macht sich breit in mir. Wer weiß, vielleicht klappt ab jetzt einfach mal alles. In der Wohnung hat sich die Abteilung „Jux und Dollerei“ erfolgreich an dieser einen Kommode versucht. Und der Hase hat das Kunststück hingekriegt, unter all dem Chaos eine Insel der Gemütlichkeit zu schaffen. Ein Tisch mit vier Stühlen dran, der für das Mittagessen präpariert wurde. Und damit nicht genug, sie hat außerdem in alles eine gewisse Ordnung gebracht. Ordnung ist das oberste Hasenprinzip. Deshalb ergänzen wir uns so gut. Sie hat von praktischen Dingen keine Ahnung und ich bin das Chaos. Man kann uns auch als Duo buchen.
Irgendwann am Nachmittag bin ich so weit, dass die Hängeschränke in der Küche aufgehängt werden können. Eigentlich keine große Sache. Die passenden Haken und Dübel dafür sind bei den Schränken mit dabei und aus den vielen vergangenen Umzügen weiß ich, dass es da genormte Maße gibt, wo die Aufnahme für die Haken am Schrank sich befindet. Ein Küchenbauer denkt da gar nicht mehr lange drüber nach, weil der die Maße einfach aus dem Kopf weiß. Ich weiß sie nicht, also muss ich ausmessen und dabei meinem Hasen pausenlos versichern, dass ich auch wirklich weiß, was ich da mache. Nicht dass sie misstrauisch ist, aber der Hase traut keinem über den Weg. Denn eigentlich kann nur der Hase etwas genauso machen, wie der Hase es für richtig hält. Das ist beim Autofahren so, weswegen der Hase ja der schlechteste Beifahrer der Welt ist und zieht sich durch so ziemlich alle Bereiche. Blöd nur, wenn der Hase etwas nicht selbst kann, oder können will. Wie zum Beispiel Löcher in Wände bohren und dann wissen, mit welchem Dübel man irgendwas befestigen kann. Da muss sie mir dann doch komplett vertrauen. Also beinahe komplett.
„Die hängen dann schon gerade, oder?“, fragt sie, als ich die Bohrlöcher anzeichne. Ich versichere, dass sie es tun werden. „Und Du denkst daran, dass in der Mitte die Dunstabzugshaube hinkommt?“ „An nichts anderes denke ich“, erwidere ich. „Nicht dass die nachher nicht reinpasst“, der Hase bleibt misstrauisch. Ich zeichne derweil alle vier Bohrlöcher für die Schränke an und berechne dabei den Platz für die Dunstabzugshaube. „Willst Du nicht erstmal einen Schrank aufhängen und dann die Haube und dann den nächsten Schrank?“ „Nee, das habe ich schon alles berechnet“ „Und wenn das dann nicht passt?“ „Dann schneide ich ein Loch in einen Schrank!“ Der Hase versteht den Scherz nicht so ganz. „Ich würde das ja anders machen“, sagt sie. „Na dann mach doch. Hier ist die Bohrmaschine und da sind die Haken“, sage ich. Sie möchte nicht und lässt mich zweifelnd gewähren.
„Also ich hätte ja erst einen Schrank……“ beginnt sie einen Satz, von dem ich mir nur die erste Hälfte anhöre. Gleich werde ich mit dem Bohren loslegen. Und obwohl ich es hinterfragt habe, bleibt doch das unschöne Gefühl, dass irgendetwas ist, unter dem Putz. Und so bleibt die Furcht auf ein Kabel oder sonst eine Leitung zu stoßen ebenso präsent, wie auch das unlogische Gefühl, es könnte mich ein Auge durch das Loch ansehen oder eine Hand würde rauskommen. Ich sehe einfach zu viele Filme. Das Leben ist nicht für Zauderer, denke ich und schnappe mir die Bohrmaschine und halte den Bohrer an den angezeichneten Punkt und kneife ein Auge zu, als ich zu Bohren beginne. Warum ich das mit dem Auge mache? Es ist mir schleierhaft, aber es ist so ein Reflex, wenn ich unsicher bin. Aber es ist nutzlos. Fällt man nicht von der Klippe, wenn man springt, nur weil man ein Auge zukneift? Ich werde es nicht probieren.
Der Bohrer dreht sich und unter einem infernalischen Lärmpegel schraubt er sich in das höchstwahrscheinlich sehr alte Mauerwerk. Die gute Nachricht, es passiert nichts Außergewöhnliches. Der Bohrer gleitet störungsfrei in das rötliche Gestein und kein Auge, keine Hand, kein Wasserstrahl und auch kein Kabel kommt zum Vorschein. Der Dübel fasst, der Haken hält und ich nutze die Gunst und den Schwung der Stunde, um auch die anderen Löcher zu bohren. Und immer erscheint mir der Hase vor meinem inneren Auge, wie sie mit erhobener Pfote mahnt, dass ich an die Dunstabzugshaube denken soll und dass alles gerade sein soll und dass sie es eigentlich anders gemacht hätte und warum ich nicht auf sie höre. Ich kneife das Auge auch weiter zu. Aber auch hier geht alles glatt.
Die Fortschritte sind unbestritten, aber es könnte eigentlich noch schneller gehen, wenn ich entweder acht Arme hätte oder mich klonen könnte. Denn neben der Küche muss ich auch immer wieder zu den anderen eilen, wenn etwas nicht ganz klar ist, oder sich Probleme auftun. Dann kommt der große Moment, ich bin so weit, wir können die Schränke anhängen. Die gute Nachricht ist, die Haken passen genau in die Aufhängungen an den Schränken. Der Hase ist nicht vollends begeistert. „Halt mal die Dunstabzugshaube dazwischen“, kommt der knapp gezischte Befehl rüber. Ich halte sie dazwischen. Das heißt, ich möchte sie dazwischen halten. Der Platz reicht nicht ganz. Ich beginne zu schwitzen. Fünf Millimeter fehlen. „Als ob ich es nicht gesagt hätte….“, beginnt der Hase, der mir jetzt so rein gar keine Hilfe ist. Aber recht schnell komme ich auf des Rätsels Lösung. Die Aufnahmen an den Schränken sind noch nicht justiert. Die Schränke hängen noch schief. Ein bisschen Ausrichten und schon passt alles.
Die Dunstabzugshaube werde ich später anbauen. Jetzt geht es erst einmal darum Stauraum zu schaffen, daher werden die Schränke auf und angebaut, so schnell es geht. Die Türen kommen auch später ran. Also widme ich mich nun der Spüle. Mit einem Stanzwerkzeug muss ich nun ein Loch in das Edelstahlspülbecken stanzen. Das dient dem Wasserhahn. Ich stanze und kneife wieder ein Auge zu. Ich sehe schon langsam aus wie Karl Dall. Aber auch hier klappt alles. Es geht was an diesem Tag. Dann schließe ich den Wasserhahn an und wie von mir erwartet, kommt nur Kaltwasser an. Unsere Tochter schreibt der Vermieterin, die sich sofort zurückmeldet und verspricht, dass am Montagmorgen der Dirk, ihr Allroundhandwerker, kommen wird und sich die Sache ansieht. Alles was recht ist, aber die kümmert sich wirklich. 5 von 5 Sternen in der Vermieterbewertungsapp würd ich mal sagen. Aber mit Hilfe eines Wasserkochers kann der Hase Warmwasser generieren und ist glücklich, denn nun kann sie endlich Sachen abwaschen und einsortieren. Das Chaos lichtet sich.
Der Silberstreif ist am Horizont. Wird nun noch alles gut? Kommt der Dirk vorbei und hat die Lösung für das Warmwasser? Werden die Dunstabzugshaube und ich Freunde? Antworten auf diese und andere unnötige Fragen gibt es im großen Kleinfinale……..