„Was wollen die denn?“, fragt meine Tochter und ich kann keine vernünftige Antwort geben. Äußerlich gelassen sage ich: „Das werden wir bestimmt gleich erfahren“, während ich innerlich auf die Größe eines Reiskorns zusammengeschrumpft bin. Das Herz pocht mir wie wild, während die Polizei von der mittleren Spur, auf der wir uns befinden, auf die rechte wechselt. Da der Anhaltesignalgeber mich immer noch auffordert, hinter ihnen herzufahren, wechsel ich auch die Spur. Nur nicht so direkt hinter den Vollzugsbeamten, denn da ist ein LKW im Weg. Also sind sie vor dem Laster und ich dahinter. Der LKW Fahrer entdeckt den Schriftzug, kriegt wahrscheinlich auch einen Herzinfarkt und beginnt zu blinken, weil er denkt, dass er den Bullen folgen soll. Wahrscheinlich hat er seine Lenkzeiten überschritten, ist überladen oder hat Schmuggelware, Drogen oder illegale Waffen auf der Ladefläche und denkt sich: „Scheiße, jetzt haben sie mich erwischt“ oder „Cholera, dostali mnie!“, wie es auf polnisch heißt, denn da kommt er laut Kennzeichen her.
Aber die Polizisten wollen nicht diesen kleinen Fisch. Sie wollen mich, den Schwerverbrecher und um diesen Umstand etwas deutlicher zu machen, wechseln sie auf die Standspur, was den polnischen Brummifahrer noch etwas mehr verwirrt, weil er zunächst rechts blinkt und dann wieder nicht. Jedenfalls lässt die Polizei ihn ziehen und er kriegt seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle und fährt weiter, um seine Drogen auszuliefern. „Nigdy mnie nie zrozumiecie, kretyni!“ Sagt er laut. Was, wie man zweifelsohne erkennt, soviel heißt wie: „Ihr werdet mich nie kriegen, Ihr Deppen!“ Ich glaube in diesem Moment auch ein diabolisches Lachen zu hören, kann mich aber auch täuschen. Meine Freunde die Ordnungshüter scheren wieder vor mir ein und zusammen nehmen wir die nächste Ausfahrt. Ein paar Meter später halten wir auf einem seitlichen Parkstreifen an einer stark frequentierten Straße an.
Die Beamten steigen aus und einer von ihnen tritt an die Fahrerseite. Ich bin völlig runter mit den Nerven und überlege, ob es so etwas wie Guantanamo auch in Deutschland gibt. Ich lasse das Seitenfenster runter und der maskierte Beamte spricht die magischen Worte: „Allgemeine Verkehrskontrolle. Führerschein und Fahrzeugschein bitte!“ Mit zittrigen Fingern nestel ich die gewünschten Papiere hervor und der recht junge Polizist studiert sie ausgiebig. „Herr Daus“, sagt er und ich wundere mich, woher er meinen Namen kennt, bin wohl doch berühmter als ich dachte, „der Grund weswegen wir sie anhalten ist“, ach ja der Führerschein, daher kennt er meinen Namen, „dass Sie in der Baustelle auf der falschen Spur gefahren sind.“ „Watt“, denke ich, „ich versteh nicht ganz.“ „Sie waren auf der mittleren Spur und diese ist für Fahrzeuge mit einer Gesamtbreite von höchstens 2,10 Meter zulässig. Ihr Fahrzeug ist 2,04 Meter breit und dann kommen die Außenspiegel noch dazu. Das können wir gerne nachmessen, wenn Sie darauf bestehen.“ Ich bestehe nicht darauf und bekenne mich schuldig. Wobei ich an dieser Stelle gestehen muss, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst habe, dass ich mich mit diesem Fahrzeug an solchen Stellen strafbar mache.
Zwanzig Euro kostet der Spaß und ich habe die Optionen entweder sofort zu bezahlen, oder aber auf eine Rechnung zu warten. Ich bin für sofort und suche schon nach Bargeld, als meine Tochter mir erklärt, dass die Polizei in NRW kein Bargeld nimmt, sondern technisch für Kartenzahlung ausgerüstet ist. Das finde ich irgendwie lustig und verkneife mir die Frage, ob man bei denen auch Geld abheben könne oder ob ich eine Einzugsermächtigung erteilen kann und sie dann abbuchen, wenn ich mal wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerate. Allerdings beschäftigt mich, warum die eigene Tochter sich mit den Zahlungsmodalitäten der Polizei so gut auskennt. Sie sei in Münster auf dem Fahrrad ohne ausreichende Beleuchtung erwischt worden, erklärt sie mir später. Die dunkle Seite der Macht ist stark in meiner Familie. Unfassbar.
Meine Finger zittern, als ich die Geheimnummer eingebe und die beiden Polizisten wirken ein bisschen amüsiert ob des alten Mannes, der gerade Muffensausen hat. Ich bekomme noch einen Beleg für die Zahlung und bedanke mich für das Souvenir. Man wirft noch einen Blick auf die Ladung. Einen anerkennenden Blick, weil alles so toll beladen ist und wünscht eine gute Weiterfahrt. Glücklich über den Umstand, nicht in einer dunklen Zelle für die nächsten 48 Stunden eingesperrt zu sein, fahre ich wieder auf die Autobahn. Wir fahren bis zu dem Roller in Wuppertal und so langsam kriege ich meine Nerven wieder in den Griff.
Wir holen den Hochschrank ab und das funktioniert reibungslos. Das Ding muss nur noch verladen werden. In den wirklich vollen Wagen und ich fühle mich an den alten Scherz erinnert, der da lautet: „Wie kommt ein Elefant in den Kühlschrank?“ „Tür auf, Elefant rein, Tür zu!“ Ganz so einfach ist das hier nicht: Tür auf, den halben Wagen entladen, bis eine Fläche erreicht ist, auf der der Schrank liegen kann, Schrank rein, den Rest wieder rein und dann Tür zu. Wobei der Schrank schweineschwer ist. Über 20 kg steht auf dem Karton. Das stand auch schon auf einem anderen Karton der Rollerküche und ich habe mir da den Scherz erlaubt und das Teil zu Hause mal gewogen. 52,3 kg war das Ergebnis und ja, das ist irgendwie mehr als 20 kg. Der Hochschrank ist mindestens genauso schwer, dafür aber wenigstens noch sehr unhandlich. Wir freuen uns schon darauf, ihn in die Wohnung buckeln zu können. Wir fahren weiter und auf dem Plan für diese beiden Tage steht noch ein Roller in Koblenz mit einem Spülenunterschrank und diese paar Möbel vom Ikea auch in Koblenz.
Da wir noch genügend Zeit haben, steuern wir wenigstens den Roller in Koblenz Mühlheim an. Ein furchteinflößender Ort. Eine lange, sehr sehr lange Straße führt durch eine Art „unfassbar fucking großes“ Gewerbegebiet und jeder nur erdenkliche Laden oder was auch immer in so einem Gebiet ansässig sein könnte, ist hier angesiedelt und hat mindestens eine Zufahrt zu dieser merkwürdigen Straße, auf der sich Auto an Auto reiht und zwar in beiden Richtungen. Hier sind mehr Autos unterwegs als auf einer vollausgelasteten A1 bei Ferienbeginn. Es ist schrecklich und nach gefühlt sieben Kilometern entdecken wir den Roller und unter Umgehung der gängigen Vorfahrtsregeln biege ich links ab. Ich ignoriere das Hupen der anderen und parke abseits des Ladens ein. Auch hier müssen wir die halbe Lieferung aus dem Wagen laden, den Spülenschrank inklusive der Spüle einladen und dann alles wieder voll packen. Jetzt ist der Wagen bis unters Dach voll und auch wenn wir es wollten, würden die paar Möbel von Ikea nicht hereinpassen. Das bisschen Pax und Lax oder wie das so heißt, kann ja nicht so wahnsinnig schlimm werden. Also werden wir Ikea morgen extra machen. Ich plane schon den Zeitrahmen, während wir nach Bad Ems fahren. Fort von Koblenz Mühlheim, dem Ort des Schreckens.
War der Weg an der Autobahn bisher eher unspektakulär, wird es auf der Landstraße von Koblenz nach Bad Ems durchaus wesentlich reizvoller mit einigen schönen Ausblicken und steilen Straßen. Wenn es dann so 12% bergauf geht, macht der Wagen ein tief brummendes „Mööööööhhhhh“, als er sich den Berg hochquält. Wenn es bergab geht, dann machen meine Tochter und ich „Huih!“, weil wir uns ein bisschen wie in einer Achterbahn fühlen. Ja, wir Menschen aus dem Flachland sind mitunter schon ein bisschen eigenartig. Zunächst haben wir ein ausgeglichenes Verhältnis von „Mööööhhh“ und „Huih“ -Strecken, aber die letzten Kilometer geht es eigentlich nur noch „Huih“-mäßig bergab. Es ist echt schön hier und ich beneide meine Tochter ein bisschen darum, dass sie hier leben wird. Wir fahren an dem Haus vorbei, wo sie wohnen wird. Kein Parkplatz frei. Also fahren wir ein bisschen durch den Ort. Das machen wir gefühlt 32 mal und dann ist es soweit, wir treffen uns mit der Vermieterin und einer Maklerin.
Beide machen einen sehr unkomplizierten Eindruck. Was mir gleicht sehr gut gefällt und die Vermieterin sorgt dafür, dass wir direkt vor der Haustür parken können. Wir besichtigen die Wohnung, die offensichtlich gerade frisch renoviert wurde und wie aus dem Ei gepellt aussieht. Wenn die Wohnung zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, wie groß zwischenzeitlich das Chaos hier werden würde, sie hätte sich von selbst verschlossen. Es ist ein Mehrfamilienreihenhaus und die Wohnungen gehören anscheinend alle der Vermieterin. Im Erdgeschoss wird gerade noch eine renoviert (eine Wohnung, nicht eine Vermieterin) und ein Mann namens Dirk ist da wohl der Allroundhandwerker und wir können ihn jederzeit ansprechen, wenn irgendwas nicht stimmt oder wir Hilfe brauchen. Es gibt sogar noch dem Dirk seine Handynummer für eventuelle Notfälle.
Die Wohungsübergabe ist genauso entspannt und unkompliziert, wie die Vermieterin selbst zu sein scheint. Es ist 16.30 Uhr und wir beginnen mit dem Schleppmarathon. Die Wohnung ist im ersten OG, zu dem insgesamt 30 Stufen überwunden werden müssen. Also gefühlt ist es ein zweites OG, aber das stört uns jetzt nicht. Damit der Wagen nicht alleine steht, trage ich die Sachen in die erste Ebene (10 oder 12 Stufen) und stelle sie da ab. Meine Tochter nimmt sie von da aus nach oben in die Wohnung. Und jetzt wird´s haarig. Man glaubt ja gar nicht wie viele Kartons so ein einzelner Mensch bei einem Umzug füllen kann. Also tragen wir die gefühlt 86 Kisten und ein paar Koffer und lauter Zeugs nach oben. Wobei wir uns gegenseitig anstacheln. Ich möchte nicht der alte Bremsklotz sein und sie möchte nicht lahmer erscheinen, als dieser alte Bremsklotz.
Wir schenken uns nichts und treiben uns zu Höchstleistungen. Irgendwann kommen dann die noch eingepackten, neu gekauften Möbel. In diesen Kartons, auf denen oft steht, dass sie mehr als 20 kg wiegen. Aber das kennen wir ja schon. Die bringen wir nun zu zweit nach oben. Ich bin erstaunt und begeistert. Von mir, weil ich hier sportliche Höchstleistungen absolviere. Wer hätte gedacht, was für ein Hecht ich doch bin. Und von meiner Tochter, weil sie ohne mit der Wimper zu zucken die ganze Zeit mithält. Im Gegensatz zu mir atmet sie recht ruhig und sie schwitzt auch nicht. Was irgendwie auch gemein ist.
Wir haben den Wagen zu dreiviertel geleert, als wir beschließen, es für heute gut sein zu lassen. Mehr wird nicht geschleppt und die paar Sachen von Ikea holen wir morgen. Wir schrauben die ersten Möbelstücke zusammen, bestellen uns Pizza und machen um 22.38 Uhr Feierabend. Wir schlafen auf Luftmatratzen De Luxe. Die sind einsvierzig breit, zwei Meter lang und vierundfünfzig Zentimeter hoch. Da passt eine Menge Luft rein. Ich brauche noch zwei Stunden, um sie mit dem Mund aufzublasen……Nein, das war ein Scherz. Die Dinger haben eine elektrische Pumpe integriert, die so eine Matratze in ein paar Minuten aufpumpt. Eine wirklich geile Erfindung. Weil diese Pumpe in Klang und Lautstärke sich wie eine Mischung aus 8 Staubsaugern und einem Düsentriebwerk anhört, haben wir die Matratzen schon sehr früh aufgepumpt. Ich liege noch lange wach und plane den morgigen Tag, soweit man ihn überhaupt planen kann. Es ist schon ein bisschen Chaos in der Wohnung, aber ich habe den festen Glauben, dass alles gut wird. Was ich noch nicht weiß: Dieser Glaube wird noch einige Male sehr strapaziert. Doch jetzt, in diesem Moment ist alles gut. Ich schlafe ein……..