Montag, 26.10. Tag vier
Was kommt nach Sonntag? Genau, Montag. Und was hat man dann statt Blattgold an den Händen? Genau das Gegenteil. Was nun das Gegenteil von Gold ist, das bleibt der eigenen Phantasie überlassen. Gestern, als die Welt noch in Ordnung war, hatten wir irgendwann am Abend eigentlich Feierabend gemacht. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich zumindest mal probieren könnte, eine Lampe anzubauen. Da die Decke auch mit Gipskarton abgehängt ist, konnte ich auch relativ lärmfrei arbeiten. Und was soll ich sagen, es flutschte nur so. Ruck Zuck hing die Lampe und leuchtete planmäßig. Manchmal ist man einfach ein Held. Sowas geht an so einem Tag. Blattgoldsonntag halt. Zufrieden machte ich dann auch Feierabend, weil ich ja nun wusste, wie es funktioniert und dann würde ich am nächsten Morgen einfach mal weiter machen. Ich hätte lieber gleich weitermachen sollen. Das ist mir gerade klar geworden.
Ich bin früh erwacht und habe erstmals so richtig geschlafen. Einfach weil so vieles sich gefügt hatte und ein Ende in Sicht ist. Aber das Erwachen ist eher böse. Ich möchte mit den Lampen weitermachen. Ja, ich möchte, aber die Lampen möchten nicht. Hartnäckig weigern sie sich, die Kabel in die dafür vorgesehenen Klemmen zu lassen. Und wenn sie sie lassen, dann halten sie nicht. Es sind insgesamt fünf Lampen und drei unterschiedliche Typen. Als die erste nicht will, versuche ich es mit der zweiten, dann mit der dritten und dann wieder mit der ersten. Nichts will gelingen und ich bin ganz im Montagslevel. Das heißt, meine Geduldsspanne ist äußerst klein. Nach sechs unglücklichen und erfolglosen Versuchen, platzt mir ein bisschen der Kragen. Ich stoße eine Reihe von Flüchen und Verwünschungen aus und der Hase und unsere Tochter sehen mich etwas irritiert an. Ja, man möchte fast meinen, die Tochter könnte Angst haben. Ein scharfer Blick vom Hasen lässt mich sofort wieder ruhig werden. Aber nach all dem Ärger in diesen Tagen, muss man mir eine Entgleisung zugestehen.
„Wenn das nicht klappt, dann mach doch erstmal irgendwas anderes“, sagt der Hase. Mach doch was anderes, hallt es in einer Endlosschleife durch meinen Kopf. Was soll ich denn bitteschön anderes machen? Vielleicht die Spritzschutzrückwand anbauen? Das ist eine beschichtete Kunststoffplatte, die anstatt eines Fliesenspiegels an die Wand in der Küche über den Unterschränken und vor allem dem Herd montiert wird. Und ich muss nur kurz herauskriegen, wie das funktionieren soll. Spritzschutzrückwand…..ich glaube das wird mein neues Lieblingswort. Versuche es dreimal schnell hintereinander auszusprechen. Was nicht ganz einfach ist. Spritzschutzrückwand, Spritzschutzrückwand, Spritzschutzrückwand….dann erweitere ich es um einige Schwierigkeitsgrade, indem ich einzelne Bauteile benenne: Spritzschutzrückwandeinfassprofilverbindungsleiste zum Beispiel. Ich mache das halbwegs laut und Zweifel meiner Mitmenschen an meinem geistigen Zustand sind durchaus angebracht. „Alles in Ordnung mit Dir?“, fragt der Hase. In diesem Moment fällt mir auf, dass ich die Spritzschutzrückwand gar nicht montieren kann.
Also antworte ich wahrheitsgemäß: „Hah, das geht nicht!“ „Was geht nicht?“, fragt der Hase. „Ich kann die Spritzschutzrückwand nicht anbauen!“ „Warum nicht?“ „Na, weil da Steckdosen sind und dafür muss ich Löcher in die Sprit….“ „Halt, sprich es nicht aus!“, unterbricht mich der Hase, “ dann machst Du da halt Löcher rein!“ „Dafür brauche ich eine Stichsäge!“ „Na, dann nimm eine, kann doch nicht so schwer sein.“ „Aber ich habe keine“, sage ich. „Das ist jetzt nicht so wichtig, Hauptsache, Du fängst irgendwann mal an.“ Also wird es nichts mit der Rückwandmontage, das sieht auch der Hase ein. Irgendwie doof, aber nicht zu ändern. Wir werden in absehbarer Zeit noch einmal vorbeikommen müssen und dann werde ich das Teil anbauen. Doch nun ist es Zeit, etwas anderes in Angriff zu nehmen. Da klingelt es an der Tür.
Wer kann das sein? Es ist der Dirk. Der Allroundhandwerker der Vermieterin. Ich hatte ihn zwar schon einmal gesehen, aber das eher flüchtig. Diesmal sehe ich genauer hin. Und die beiden Damen meiner Familie auch. Der Dirk ist Ende dreißig, würde ich mal schätzen und hat einen wohltrainierten Oberkörper, wie meine beiden Frauen wohlwollend feststellen. Kein Gramm Fett und Arme, die vor lauter Muskularität kaum wissen, was sie machen sollen. Nicht dass mich das jetzt irgendwie beeindrucken würde, aber ich ziehe schon ein bisschen den Bauch ein, als wir nebeneinander stehen. Der Dirk ist vorbeigekommen, um sich die Wassersituation in der Küche anzusehen. Ich schildere ihm den Fall und er blickt unter die Spüle und sagt, dass unser Wasserhahn nicht der Richtige sein würde. „Ich habe Dir doch damals gesagt, dass Du Dir alles ansehen sollst, ob das hier hin passt“, vorwirft der Hase. Was denn falsch sei, frage ich den Muskeldirk. Unser Wasserhahn hat nur zwei Anschlüsse, was allerdings auch der Standard ist. Also nicht meine Schuld. Allerdings brauchen wir hier in der Küche für Warmwasser noch eine Art Unterbaugerät, erklärt der Dirk. So etwas wie ein Durchlauferhitzer. Und deswegen muss der Wasserhahn drei Anschlüsse haben. Er erklärt mir auch, warum das so ist und ich verstehe nicht ein Wort.
Weil ich mir aber keine Blöße geben möchte, nicke ich immer wieder mit dem Kopf. Auch als er schon aufgehört hat mit seinen Erklärungen. Er merkt gleich, dass er hier mit einem waschechten Amateur redet, aber trotzdem fragt er, ob ich so ein Unterbaugerät montieren könne. Ich könne nicht, entgegne ich und er macht Bilder vom Istzustand unter der Spüle für die Vermieterin, damit sie zu einem Klempner fahren kann, der sich dann mit der Sache beschäftigt. Sie würde sich kümmern und kurzfristig dafür sorgen, dass alles erledigt wird. Wie gesagt, die Vermieterin ist wirklich klasse. Der Dirk geht wieder und ich finde meine nächste Aufgabe. Die Dunstabzugshaube. Die sich von der Spritzschutzrückwand allein schon dadurch unterscheidet, dass man sie leichter aussprechen kann. Auch scheint die Montage wesentlich einfacher zu sein, als ich bisher gedacht hatte. Die Anleitung ist auch nicht wirklich kompliziert. Zunächst muss ich ausmessen, wo die Haube hin soll und dann den ersten Halter anzeichnen und dann muss ich drei Löcher in die Wand bohren. Das hat ja am Samstag schon bestens geklappt. Und weil ich ja weiß, dass da überhaupt keine Leitungen lang laufen, bohre ich entspannt los.
In meiner Phantasie habe ich immer vor Augen gehabt, dass ein Blitz aus der Wand kommt und es laut knallt, wenn man in ein Kabel bohrt. Und was soll ich sagen, es ist wirklich so. Zunächst wundere ich mich, dass so seltsam bröseliges Zeug aus der Bohrung tritt, während ich bohre. Dann blitzt es und knallt fürchterlich laut und dann ist schlagartig alles dunkel in der Wohnung. Nicht dass ich jetzt schreckhaft wäre, aber ich habe überhaupt nicht damit gerechnet. Deswegen zittere ich wie Espenlaub als der Hase mich fragt: „Ist das normal?“ Und unsere Tochter feststellt: „Der Strom ist weg!“ „Was ist los?“, fragt der Hase. „Ich habe ein Kabel angebohrt“, sage ich wahrheitsgemäß. „Da gibt es so Geräte, mit denen kann man vorher nachmessen, ob da ein Kabel ist“, klugscheißt der Hase. „Da sollte aber kein Kabel sein“, sage ich. „Sagt wer?“, fragt der Hase und in ihrer Stimme schwingt ein gewisses Misstrauen in meine Handwerkskünste mit. „Sagt die Vermieterin“, klärt unsere Tochter auf. „Ich habe im Vorfeld nachfragen lassen und ihr Elektriker hatte bestätigt, dass da kein Kabel ist“, ergänze ich. „Ja aber, da ist doch ein Kabel“, sagt der Hase, “ das hätte man mit dem Gerät ja ausmessen können.“ „Was soll ich denn ein Gerät besorgen, wenn da kein Kabel ist?“ „Ja aber da ist doch eins!“ , der Hase wird ungehalten. „Aber es sollte nicht da sein!“, ich werde ungehaltener. Unsere Tochter kontaktiert die Vermieterin.
Da klingelt es schon an der Tür. Der Elektriker is in the house. Der ist so schnell vor der Tür, dass ich mir nachher nicht mehr sicher bin, ob ich erst gebohrt habe, oder er schon vorher in der Wohnung war. Wir gehen in die Küche. „Da ist ein Kabel“, sage ich. „Da kann aber keins sein“, sagt er und holt so ein Gerät raus, mit dem man messen kann, ob eine Leitung in der Wand ist. „Siehste, so ein Ding mein ich“, sagt der Hase mit einem kleinen Triumpf in der Stimme. Er hätte die Küche in der Umbauphase komplett neu verkabelt, sagt der Elektrofachmann und deshalb wisse er, dass alle Steckdosen waagerecht miteinander verbunden seien. Warum ausgerechnet hier ein altes Kabel lang läuft, kann er sich nicht erklären und wir einigen uns stumm darauf, dass ich nur halbwegs blöd bin. Ich zeige ihm noch, welche Sicherungen rausgesprungen waren und er sagt, dass wir das alles ganz unbedenklich ruhen lassen können. Nur von dieser Stelle ausgehend sollten wir in der Senkrechten, wie auch in der Waagerechten nicht noch weitere Bohrungen setzen.
Ich halt mich daran, als ich die weiteren Halter der Dunstabzugshaube montiere und am Ende der Montage hängt eine Dunstabzugshaube, wie sie so hängen soll und sie sieht verdammt gut aus. Damit ist die Küche um ein optisches Highlight reicher und ich um ein paar graue Haare. Wir müssen noch zu Ikea. Schließlich schulden wir unserer Tochter noch einen Spiegel. Der große Vorteil von Ikea ist, dass man da seine Verpackungen auch entsorgen kann. Der Hase hat die Idee. Die haben da beispielsweisen einen großen Container für Pappe. Und wir haben einen riesen Berg Pappe im Transporter. Also fahren wir drei nach Koblenz zu dem Ikea, der mich vor anderthalb Wochen an meine Grenzen geführt hatte. Mir ist mulmig bei der Sache. Deshalb entsorge ich die Pappe, während die beiden in die Höhle des Schreckens gehen. Skandinavien verschluckt meine beiden Frauen, während der Pappcontainer die Pappe verschluckt. Der Container ist mit einer Presse versehen, die die ganze Pappe noch zusammenpressen kann. Was ich interessant finde. Und weil das ein Mitarbeiter machen muss und weil ich nicht möchte, dass er mich dann eventuell anscheißt, achte ich peinlichst darauf, dass auch nur Ikea Kartons hier reinkommen. Bis auf die Kartons von Roller, bei denen ich das Rollerklebeband akribisch abziehe, damit man mir nichts nachweisen kann. Unsere Pizzakartons von Samstag lasse ich lieber im Wagen. Ich bin halt ein kleiner Schisser.
Die beiden Mädels sind wirklich „nur kurz“ im Laden und aus meiner schmerzvollen Erfahrung weiß ich, dass das Geschäft einen 6km Wanderweg beinhaltet und man einfach gar nicht schnell sein kann. Ich habe Zeit, also beobachte ich die Leute um mich herum. Da fährt ein Leihtransporter vor den Ausgang und nach einer kurzen Weile, kommen Mitarbeiter von Ikea mit einigen Einkaufswagen raus und bringen den Leuten vom Transporter Massenweise Möbel bis an das Fahrzeug. Fasziniert überlege ich, was da vor sich geht. Wahrscheinlich sind das Premiumkunden, die einen Extraservice bekommen. Es dauert ewig bis meine beiden Damen wiederkommen. Das ist selbst dem Hasen ein bisschen zuviel. Wort- und gestenreich erklärt sie mir, was die beiden im Laden erlebt haben und ich kann es nachempfinden. Dann sage ich dem Hasen, was ich beobachtet habe und sie so: „Ja, das kenn ich. Das kann man buchen. Kostet zwanzig Euro oder so. Dann musst Du bestellen was Du haben möchtest und die Mitarbeiter suchen Dir dann alles zusammen und Du holst das einfach nur ab. Echt irre einfach, oder?“
Erinnerungen werden wach. Erinnerungen daran, dass ich hier vor anderthalb Wochen diesen irre schweren Einkaufswagen unter Einsatz meines Lebens und mit allerletzter Kraft durch diesen riesengroßen Giganten von einem Ikea geschoben habe. Und das hätte ich für zwanzig Euro alles nicht machen müssen? „Und warum haben wir das nicht gemacht?“ Ich kann meine Erregung nur schwer im Zaum halten. „Ach, das hatte ich einfach vergessen, dass das auch geht“, sagt der Hase ohne auch nur einen kleinen Funken Schuldbewusstsein an den Tag zu legen. Ich verwende derweil eine neue Atemtechnik, um den Puls zu senken und mich davor zu bewahren, hier gleich zu explodieren. Ich halte einfach mal die Luft an. Solange es irgendwie geht. Das sind bei mir zwar nur 26 Sekunden, aber die reichen schon, um den Hasen etwas zu beunruhigen. Und das war natürlich total meine Absicht.
Wir fahren zurück zur Wohnung. Die gute Nachricht ist, der Transporter ist so ziemlich leer, bis auf die Pizzakartons. Angekommen widme ich mich den Lampen. Ich widme mich ihnen ein wenig energischer und zeige ihnen, wer bei uns im Haushalt die Hosen anhat. Also der Hase natürlich, aber für die dämlichen Lampen kann ich mal ein bisschen aus ihrem Schatten springen. Ja, das klappt. Ich montiere alle Lampen und befestige noch ein paar Billys. Ja genau diese Regale vom alten Schweden. Und dann ist es wirklich vollbracht. Alles was wir momentan aufbauen konnten, ist aufgebaut. Und ich nehme mir die Zeit und blicke durch die Räume. Und wenn hier am Freitag noch ein Chaos war und es aussah, wie mein Jugendzimmer in einer sehr schlechten Verfassung (das war echt gruselig bei mir früher), ist ein Wunder geschehen und es ist eine richtig hübsche Wohnung geworden. Ich bin beinahe ein wenig gerührt und kann kaum glauben, dass man mich nicht hat in eine psychiatrische Klinik hat einweisen müssen.
Das Internet soll morgen in die Gänge gebracht werden. Es kommt ein Subunternehmer vom Internetanbieter vorbei und kümmert sich. Die Warmwassergeschichte läuft auch an. Die Vermieterin hat einen Klempner an der Hand, der immer für sie arbeitet und der kommt morgen auch rum. Und die Spritzschutzrückwand werde ich in naher Zukunft montieren. Erst einmal kaufe ich mir eine Stichsäge. Wir drei sind erschöpft, aber glücklich. Und nach einem kleinen Mittagessen fahren der Hase und ich zurück nach Hause. Ich denke viel über diesen Umzug nach und mir ist sofort klar, dass ich das alles aufschreiben muss. Bevor man sich später nicht mehr daran erinnert. Auch wenn es uns mehrfach an die Grenzen gebracht hat, hatten wir wirklich jede Menge Spaß und der Hase und ich fahren nun los, in dem beruhigenden Wissen, dass unsere Tochter da wo sie wohnt, auch gut aufgehoben ist. Ihr Start in ein neues Leben hat eine gesunde Basis und das ist einfach wichtig. Ich würde so einen Umzug jederzeit wieder für eines unserer Kinder machen. Aber vielleicht würde ich aus der Verwandtschaft ein bisschen Hilfe rekrutieren. Wichtigstes Merkmal wäre dabei, der oder die Helfer müssten auch Bier trinken wollen. Das ist diesmal ein bisschen zu kurz gekommen, weil im Prinzip kein richtiger Biertrinker in meiner Familie ist und ich alleine nicht trinken mag. Aber man kann ja nicht alles haben.